: Sie haben Post, Herr Platzeck!
Ab Montag wird Brandenburgs Ministerpräsident im Internet auf Bürgerfragen antworten. Dahinter steckt kein PR-Gag der Potsdamer Staatskanzlei, sondern ein studentisches Projekt für mehr digitale Demokratie. Die drei Macher von „direktzu.de“ arbeiten gerade an ihrer Expansion über den Atlantik
VON ERIK HEIER
Sicher, eine Frage an Matthias Platzeck hätte er schon. Jörg Schiller, 25, Informatikstudent an der Fachhochschule in Brandenburg an der Havel, gebürtiger Märker obendrein. Was der Ministerpräsident dagegen unternehmen wolle, dass immer mehr Studenten nach ihrem Abschluss Brandenburg verlassen?
Aber Schiller wird das nicht fragen. Er will ja nicht sein eigener Kunde sein. Sein Job besteht darin, anderen das Fragen zu ermöglichen, über die Website, die er mitentwickelt hat. Sie heißt www.direktzu.de/Platzeck. Auf dieser Seite kann jeder Internetsurfer Matthias Platzecks neuen Postkasten versorgen. Ab Montag ist sie komplett freigeschaltet, dann kann jeder die bereits eingegangenen Fragen lesen – und benoten. Die drei bestbewerteten Fragen der Woche gehen an den Landeschef. Genauer: an sein Büro in der Staatskanzlei. Von dort heißt es, die ersten Antworten würden im August eintreffen. Einige Details müssten noch geklärt werden.
Platzeck ist der erste Ministerpräsident, der mitmacht. Eine Seite für die Bundeskanzlerin gibt es schon seit Oktober, und seit kurzem bekommt Bundestagspräsident Norbert Lammert elektronische Bürgerpost. Weitere Politiker sollen folgen. In Klaus Wowereits Büro denkt man angeblich darüber nach.
Die Macher von „direktzu.de“ sitzen in einer ehemaligen Hausmeisterwohnung, ganz oben im Physik-Gebäude der Freien Universität: außer Jörg Schiller der 34-jährige Caveh Valipour Zonooz, gebürtiger Berliner mit persisch-griechischen Eltern, und der 23-jährige gebürtige Ukrainer Alexander Puschkin, beide Wirtschaftswissenschaftler. Das Ambiente des Büros ist eher nüchtern. Der Blick aus dem Fenster als Alternative zum Bildschirmgeflimmer fällt auf ein kieselgedecktes Dach. Finanziert wird das Projekt von der Freien Universität und der Fachhochschule Brandenburg. Insgesamt 22 Leute arbeiten mit. Geld verdient damit bislang niemand.
Internet-Demokratie, digitale Volksnähe, Förderung der gesellschaftlichen Kommunikation. Das sind schöne Worte, schöne Werte. Um zu verstehen, was das Innovative an „direktzu“ ist, wofür all die Algorithmen dienen, die das Trio entwickelt hat, muss man etwas tiefer in die Logik des Internets eintauchen. Zonooz nennt das Projekt eine „Many-to-one“-Kommunikation. Viele Absender, ein Empfänger. Weil an den Adressaten nur die bestbenoteten Fragen gehen, können hinter jeder einzelnen tausende Nutzer stehen. Im Internet ein seltenes Prinzip.
Zonooz, formal Chef des Projekts, hat vor seinem Studium in verschiedenen Ländern Zahntechniker gelernt. Dass er Rettungsschwimmer ist, sieht man seinem muskulösen Körper an. Kraftstrotzend wirken auch seine Worte. Zonooz sagt Sätze wie: „Wir haben YouTube und Wikipedia zusammengemischt“ oder „Wir hätten in die USA gehen können. Aber cool ist es, es hier zu schaffen. Drüben schafft es jeder.“ Es sind Sätze mit eingebautem Ausrufezeichen. Sätze, die keiner sagt, der sich seiner Sache nicht sehr sicher ist.
Aber schließlich findet man auch in den USA die Kommunikations-Idee des Trios interessant. Für den Präsidentschaftswahlkampf. Bei „direktzu.de“ ist die Seite intern längst fertig. Zonooz zeigt sie auf seinem Monitor. Man sieht die Köpfe vieler Kandidaten, Barack Obama ist dabei, John McCain und Hillary Clinton. Clinton habe ihre Teilnahme schon zugesagt, sagt Zonooz. Im August fliegen er, Puschkin und Schiller in die Staaten. Eine deutsche Software-Innovation für die USA. Gewöhnlich ist es umgekehrt.
Gerade drei Jahre ist es her, dass sich die drei an der Fachhochschule Brandenburg kennen gelernt haben. Die Mark ist nicht gerade der ideale Landstrich, um von Projekten mit Hillary Clinton zu träumen. Eher summt man unwillkürlich Rainald Grebes „Brandenburg“-Lied: „Im Adlon ist heut Nacht Hillary Clinton, in Schwedt kann Achim Menzel das Autohaus nicht finden … Brandenburg!“
Zonooz hat in den letzten Monaten oft erzählt, wie alles anfing. Die Geschichte ist ja auch amüsant. Wie er Anfang September im Potsdamer Studentenwohnheim vor seinem Computer saß und sich Angela Merkels neueste Videobotschaft ansah. Wie die Kanzlerin über milliardenschwere Hightech-Förderung frohlockte, während er und seine Kumpels in den vergangenen Monaten überall mit Finanzierungsanfragen für ein neuartiges Internetportal abgeblitzt waren – auch mit einem Schreiben an Merkel selbst. Wie sie aus Frust den Videopodcast-Titel „Die Kanzlerin direkt“ einfach umdrehten: „Direkt zur Kanzlerin“. Wie sie binnen Tagen eine Frageseite zusammenbastelten, die in der ersten Woche 30.000 Besuche verzeichnete. Wie das Kanzleramt dann schnell Antworten zusagte. Dort habe man sich aber leicht überrumpelt gefühlt, heißt es.
Mittlerweile wurde ihre Merkel-Seite bereits zehn Millionen Mal angeklickt. Man kann dort auch Videos einstellen, was aber kaum einer tut. Dabei können die Politiker auch per Video antworten. Wenn sie mögen. Kürzlich regte sich jemand wortreich über Schäubles Plan auf, Fluggastdaten in Europa zu sammeln: „Wieso wird der eigentlich nicht vom Verfassungsschutz beobachtet?“ So eine Frage ließe sich sicher auch sehr hübsch als Filmchen umsetzen.
Nach der Sache mit dem Kanzleramt haben Zonooz und die anderen beschlossen, die Politiker vorher zu fragen. Mit Erfolg. Gerade kommt ein Mitarbeiter rein: Das Büro eines prominenten Bundestagsabgeordneten hat angerufen. Zonooz läuft durch den Raum, er hüpft fast auf den jungen Mann zu: „Klasse!“
Dabei interessieren sich die „direktzu“-Macher eigentlich gar nicht so sehr für Politik. Zonooz ulkt, er wäre sich vor dem Platzeck-Projekt nicht einmal sicher gewesen, wer der Ministerpräsident von Brandenburg ist. Aber vielleicht ist das der wahre Clou der Idee. Die Politik ist nur das Zugpferd, auf dem die Medien schon mit Begeisterung herumgeritten sind. Dahinter steckt mehr als das basisdemokratisches Sendungsbewusstsein dreier Studenten.
„Kaum jemand hat verstanden, dass wir ein neuartiges Kommunikationssystem im Netz aufgebaut haben“, sagt Zonooz. Hinderlich ist das aber nicht. Es ist sogar ganz praktisch. Man könnte sagen: bestes Marketing für das, was noch kommen soll. Denn das „direktzu“-Prinzip ist beileibe nicht nur dafür geeignet, einer Kanzlerin die Überwachung ihres Innenministers nahe zu legen. Vielmehr könnte es auch für Wirtschaftsunternehmen interessant sein.
Wenn die Vermarktung funktioniert, ließe sich das Hightech-Portal des Studententrios womöglich doch noch finanzieren. Die ursprüngliche Geschäftsidee, der einst auch das Kanzleramt seine Unterstützung versagte. Weshalb ja die Seite „Direkt zur Kanzlerin“ überhaupt erst entstand.
Letzten Endes hätte Angela Merkel den drei Studenten also doch geholfen. Nur eben anders.