: Im Glashaus
Geht es um Macht, Politik und Wirtschaft, geben Medien gerne den scharfen Wachhund. Was ja auch ihre ureigene Aufgabe ist. Nur: Bei Missständen in der eigenen Branche scheinen sich Journalisten mit (Selbst)-Kritik mitunter vornehm zurückzuhalten. Es flattern Krähen um das Glashaus, in dem sie sitzen
Prinzipiell gleich Sie schreiben: „Geht es um Macht, Politik und Wirtschaft, geben Medien gern den scharfen Wachhund. Was ja auch ihre ureigene Aufgabe ist. Nur: Bei Missständen in der eigenen Branche scheinen sich Journalisten mit (Selbst-)Kritik mitunter vornehm zurückzuhalten.“ Mir ist die Differenzierung, ehrlich gesagt, nicht ganz klar – wo hört Macht/Politik/Wirtschaft auf? Und wo fängt mithin die „eigene Branche“ an? Die „Vierte Gewalt“ ist doch längst weitestgehend Bestandteil dessen, worüber sie unabhängig berichten und was sie kritisch reflektieren sollte. Die Beispiele in Ihrem Artikel, besonders die aktuellen, merkwürdigen Verschlingungen im Fall Springer/ARD belegen das eindrucksvoll. Von mir aus können mir beide gestohlen bleiben: Beide sind schon lange nicht mehr das, was man als „Vierte Gewalt“ bezeichnen darf, zwar graduell unterschiedlich, prinzipiell aber gleich. canislauscher
von Rainer Nübel
Der Fall in Heidenheim ist von einer besonderen Tragik. Im Mai 2010 war Maria Bögerl entführt und ermordet worden. Die Täter sind bis heute nicht gefasst. Vor einem Monat hat sich ihr Mann Thomas Bögerl, Vorstandschef der Kreissparkasse Heidenheim, das Leben genommen. Innerhalb eines Jahres haben zwei junge Menschen Mutter und Vater verloren.
Als Carina und Christoph Bögerl jetzt in ihrer Traueranzeige schrieben, ihr Vater habe den Verlust seiner geliebten Frau, aber auch „die unsäglichen Verleumdungen“ nicht mehr ertragen können, zeigten einige Medien eine erstaunliche Doppelmoral: Jetzt mussten allein die Nachbarn und die Bürgerschaft in Heidenheim herhalten, was die monatelange Verbreitung böser Gerüchte um Thomas Bögerl anging. Kein Wort davon, dass insbesondere ein Teil der Medien wiederholt Verdächtigungen gegen den Bankchef formulierten – obwohl sie dafür keinen Beleg hatten und der Witwer laut Polizei nie tatverdächtig war.
Längst wirft der Fall in Heidenheim ein grelles Licht darauf, wie rasch in der Öffentlichkeit inzwischen Gerüchte, Verdächtigungen und Vorverurteilungen ventiliert werden. Vorrangig im Internet – und in anderen Medien. Schon im unendlichen Fall Kachelmann waren da Dämme gebrochen, etliche Journalisten hatten den Habitus von Chefermittlern und Schnellrichtern angenommen und sich wortreich auf die eine oder die andere Seite geschlagen. Nach dem Selbstmord von Thomas Bögerl hätte man erwarten können – oder müssen –, dass diverse Redaktionen ihre Rolle in solch sensiblen Kontexten selbst kritisch hinterfragen.
Nach dem Selbstmord alte Gerüchte aufgekocht
Stattdessen las man in mehreren Zeitungen, darunter auch solchen, die als hoch seriös gelten, erneut die Frage, ob hinter dem „mysteriösen Entführungsfall“ doch ein „Beziehungsdrama“ stecke, oder die Vermutung, bei Bögerls Selbstmord handle es sich vielleicht um ein „Schuldeingeständnis“. Und wieder wurden die alten Gerüchte thematisiert, obwohl an ihnen laut Polizei nichts dran war und ist: dass die Ehe der Bögerls zerrüttet gewesen sei, dass er eine Geliebte gehabt habe und Vater von Zwillingen geworden sei und und und.
Der Spiegel prangerte jetzt diesen öffentlichen Transport von Gerüchten und Verdächtigungen an, in einem dreiseitigen Beitrag, der eine unmissverständliche Überschrift trägt: „Die Hetzjagd.“ Vorrangig die Bild-Zeitung sowie Regionalzeitungen in Stuttgart und Ulm kamen dabei in den zweifelhaften Genuss, vom Hamburger Nachrichtenmagazin zitiert zu werden.
Ein Medium freilich ließ man, Zufall oder nicht, dabei unerwähnt. Dabei hatte es, so unverblümt wie kaum ein anderes, berichtet, es gebe „einige Anhaltspunkte, die vielleicht doch für eine Beziehungstat sprechen könnten“. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), bekannt und gerühmt als Flaggschiff des seriösen Journalismus, hatte im März 2011 nicht nur die von anderen Zeitungen „kolportierten“ Gerüchte zu Bögerl genannt, mit dem Dementi der Polizei, sondern auch von einer „Reihe von Auffälligkeiten“ beim Entführungsfall gesprochen: So sei das verlangte Lösegeld in Höhe von 300.000 Euro außerordentlich niedrig gewesen. Und dass der oder die Entführer das private Fahrzeug von Maria Bögerl benutzten, sei „ebenfalls ungewöhnlich“.
Auch die Umstände der Lösegeldübergabe und Bögerls Verhandlungen mit dem Täter, so berichtete damals die FAZ, passten nicht ins übliche Muster solcher Fälle: „Thomas Bögerl erhielt auf seinem Handy – im Beisein eines Zeugen – den Anruf des Entführers und telefonierte mit dem mutmaßlichen Täter außergewöhnlich lange, dann entschied er, das Geld allein zu beschaffen und die Lösegeldübergabe auf eigene Faust zu organisieren.“ Warum, so lautete eine Frage des Reporters im Bericht, „entschied sich der Ehemann für eine Form der Lösegeldübergabe, die so schwer zu bewerkstelligen war“?
Eine fachliche Quelle dafür, dass es sich hierbei um mögliche „Anhaltspunkte“ für eine Beziehungstat handeln könnte, war in diesem Artikel nicht zitiert worden. Merkwürdige Koinzidenz: die Polizei Heidenheim hatte selbst frühzeitig ihre eigene Verantwortung auf Thomas Bögerl abgeschoben und behauptet, er habe allein die fehlgeschlagene Lösegeldbeschaffung betrieben. Was der Bankchef umgehend dementiert hatte. Fakt war und ist, dass Bögerl die Polizei sofort in den Entführungsfall eingeschaltet hatte. Von da an waren Kriminalbeamte zu jedem Zeitpunkt über die Geldbeschaffung informiert und hätten eingreifen können – ein polizeilicher Betreuer war immer an Bögerls Seite gewesen. Darüber las der geneigte FAZ-Leser nichts. Wiederum ohne konkrete Quellen anzugeben, ohne Ross und Reiter zu nennen, hatte die FAZ zudem berichtet, dass Bögerls Auftritt in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY“ „bei einigen Kriminalisten“ einen „zwiespältigen Eindruck“ hinterlassen habe. Auf „einige Beobachter“ habe Bögerls Auftritt und sein Appell an die Entführer „unecht“ gewirkt.
Funktioniert so, seit Neuestem, seriöse Berichterstattung in einem menschlich derart sensiblen Fall? Beim Spiegel, der die „Hetzjagd“ ins Visier nahm, scheint man im Falle der FAZ-Berichterstattung nichts Anstößiges gefunden zu haben. Eher zitierte das Nachrichtenmagazin, mit erkennbarer Abscheu, Internetforen, in denen sich just auch einschlägige Kommentare zu Bögerls Auftritt bei „Aktenzeichen XY“ fanden: Das Video wirke bizarr, „der Vater lächelt die ganze Zeit wie bei Wundstarrkrampf“. Ist der von der FAZ transportierte Eindruck irgendeines anonymen „Beobachters“, Bögerl habe „unecht“ gewirkt, etwa um Welten anspruchsvoller? Und die Frage sei erlaubt: Wirkte der Kräheneffekt – wollte da ein großes Medium mit Leitanspruch einem anderen großen Medium mit Leitstatus kein Auge aushacken?
Verkehrte Medienwelt: „Bild“ und der Streit mit der ARD
Szenenwechsel. Geht es um Kategorien wie gut oder böse, seriös oder unseriös, schien die mediale Welt in Deutschland bisher eine recht klare Ordnung zu haben: Die Bild-Zeitung wurde meist in der zweiten Abteilung abgelegt, als „Schmuddelkind“ der Branche. Neuerdings steht diese fest gefügte Welt etwas Kopf. Genauer: seitdem der Springer-Verlag den juristischen Kampf der Printmedien gegen die Internet-Expansion der öffentlich-rechtlichen Sender anführt – konkret gegen die Tagesschau-App des NDR.
Was die Kontext:Wochenzeitung kürzlich als Szenario (im Artikel „Medienclinch“) durchspielte, hat sich inzwischen nach und nach als Realität entpuppt: Bild, das mächtig große Springer-Blatt, arbeitet laut Medienberichten an einer Artikelserie, die sich in betont kritischer Hingabe mit der ARD im Allgemeinen und der Verwendung von Gebühren im Besonderen beschäftigen soll. Auch die von uns prognostizierte Kaskade von Bild-Anfragen an die ARD hat es bereits gegeben. Laut Süddeutscher Zeitung waren es 50 bis 60 Fragenkataloge zu rund 20 Themen. Die Springer-Journalisten seien teilweise professionell beraten gewesen, vermutet demnach ein ARD-Verantwortlicher.
Womit sich durchaus die medienkritische Frage stellen könnte, ob hinter dieser Bild-Offensive kein originär journalistisches Interesse, sondern etwa ein rein verlagspolitisches Motiv des Springer-Konzerns steht. Was ein veritabler Skandal wäre – wenn dem so wäre und dies belegt würde. Der Aufreger, den diverse Zeitungen jetzt in voluminösen Artikeln „aufgedeckt“ zu haben glauben, geht jedoch in die gänzlich andere Richtung: Die ARD ist die Böse, Fragwürdige, Unseriöse – weil sie sehr nervös auf die Bild-Offensive reagierte und eine Gegenoffensive geplant haben soll. Die Berliner Zeitung zitierte aus einem internen Papier, in dem Ergebnisse eines Brainstormings zu Sendungen mit Bild-kritischen Inhalten stehen. Ob dieses Papier noch aktuell ist, blieb offen. Die ARD erklärte inzwischen, es gebe keinen Beschluss der ARD-Intendanten für eine Anti-Bild-Kampagne. Ansonsten besticht die Informationspolitik der ARD nicht gerade durch Souveränität.
Kein Zweifel, die ARD hat äußerst ungeschickt agiert und sich angreifbar gemacht. Doch es bleibt auch hier die Krähen-Frage: Werden sich die Printmedien – deren Verlage den Springer-Konzern im Rechtsstreit gegen die ARD unterstützen – auch in die brutalstmögliche Recherche zu den Hintergründen der geplanten Bild-Offensive stürzen?
Ärger statt Festlaune beim Netzwerk Recherche
Und weil auch aller schlechten Dinge drei sind: Da ist noch die gar garstige Geschichte einer Instanz, die gleichsam das Bollwerk des journalistischen Ethos darstellt, wenn nicht sogar den Gral medialer Wahrhaftigkeit. Zumindest war das bisher ihr Anspruch, nicht mehr und nicht weniger. Die Rede ist vom Netzwerk Recherche, einer sehr renommierten Organisation investigativer Journalisten. Es soll Schreiber geben, die pilgern nur deshalb regelmäßig zu den Jahrestagungen des Netzwerkes Recherche, um den Heroen ihres Berufsstands nahe sein zu dürfen.
Und jetzt das: „Unregelmäßigkeiten“ bei der letzten Instanz des Journalismus, ausgerechnet im Jubeljahr ihres zehnjährigen Bestehens. Die Bundeszentrale für politische Bildung hatte für die Netzwerk-Jahrestagungen 2007 bis 2010 Defizit-Zuschüsse in Höhe von 75.000 Euro gezahlt. Doch wie sich inzwischen herausstellte, stieß der Vorstand im Mai auf Hinweise, dass es mehr Einnahmen zur Finanzierung der Veranstaltung gegeben hatte, als angeführt worden war. Das Netzwerk Recherche hat die Zuschüsse inzwischen nach eigener Darstellung an die Bundeszentrale für politische Bildung zurückgezahlt.
Die Konsequenz: der langjährige Vorsitzende des Netzwerkes Recherche, der SWR-Chefreporter Thomas Leif, ist nicht mehr Chef der Organisation. Er hatte bei einer außerordentlichen Vorstandssitzung die „Verantwortung für mögliche Abrechnungsfehler“ übernommen, wie es in einem Schreiben an die 500 Mitglieder des Vereins stand. Der restliche Vorstand hatte Leif offenbar zum Rücktritt gedrängt. Und plötzlich war es so wie bei fast jedem Unternehmen, wenn dort Ähnliches passiert: Andere Vorstandsmitglieder von Netzwerk Recherche gingen öffentlich auf Distanz zu Leif. Allen voran Vizechef Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung, ein renommierter investigativer Journalist und so etwas wie der Chefinvestigator der Nation. „Es sind gravierende Fehler gemacht worden, die die Glaubwürdigkeit eines Vereins wie Netzwerk Recherche bedrohen könnten, wenn nicht alle Konsequenzen gezogen werden“, erklärte Leyendecker.
Man beachte die passivische Wendung, wie sie auch von Managern oder Politikern in solchen Situationen gerne verwendet wird: Der Geschasste wird im heiklen Zusammenhang nicht namentlich genannt. Erst bei der späteren Würdigung seiner „persönlichen Integrität“, an der es natürlich keinen Zweifel gebe, seines „großen Engagements“ all die Jahre und seines großen „Einsatzes“. So etwas kennt man aus zig medialen Berichterstattungen. Doch halt, dann müsste eigentlich auch ein Gedanke thematisiert werden, den Journalisten bei ähnlichen Vorfällen in der Wirtschaft aufklärungsbewusst ins Feld führen, vor allem die von der investigativen Truppe: Ein Vorstand hat einen Vize und mehrere andere Vorstände, um Kontrolle zu üben, gerade in finanziellen Dingen. Das Mehraugenprinzip. Eine Frage, die Journalisten sonst so häufig stellen, blieb in diesem medialen Fall bisher aus: Hat der ganze Vorstand des Netzwerks Recherche gründlich versagt, müsste er nicht sogar geschlossen zurücktreten?