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Archiv-Artikel

Vermisst im Schneesturm

MORD IM NORDEN Weihnachten kann ganz schön gruselig sein. Jedenfalls, wenn man die vielen Toten an Förden, Fjorden und in den Schären bedenkt, die diverse Autoren aus Norddeutschland und dem kühlen Skandinavien in diesen Tagen zu bieten haben

Ein verwunschenes, eigentlich idyllisches Haus an Flensburgs Außenförde ist Schauplatz diverser Morde

VON FRANK KEIL UND PETRA SCHELLEN

Vielleicht haben auch Häuser ein Schicksal, das sie quasi hineinsaugt in bestimmte Geschichten. Das verwunschene Haus an Flensburgs Außenförde, eingeführt vom Krimi-Autor Marc Freund, scheint so eins zu sein. Schon zum zweiten Mal ist es Schauplatz diverser Morde. Erzählte „Das Haus am Abgrund“ von 2013 um eine vor Jahrzehnten in der Ostsee umgekommene Zwangsarbeiterin, geht es im neuen Band „Endstation Steilküste“ um einen Drogendealer, der auf einem Schiff verstirbt, während in der Nähe jenes Steilküsten-Hauses ein zweiter Mord passiert. Das ist recht fesselnd, aber der historische Stoff des ersten Bandes barg einen Mix aus Spannung und Zeitgeschichte, der schwer zu toppen war.

Ein anderer Ort, ein anderes Haus. Weit kälter ist es dort, stürmischer und verlassener – in den Ostfjorden Islands. Steht dort ein Haus jahrelang leer, ist schnell das Dach dahin, klappern die Fensterläden vernehmlich über den Fjord. In die hinterste Ecke seines verlassenen Elternhauses hat sich unser nächster Held zurückgezogen und dort sein provisorisches Schlaflager aufgeschlagen: Erlendur Sveinsson, Kommissar aus Reykjavik. Immer wieder zieht es ihn in seine alte Heimat zurück, oft aus einem ihm selbst unklaren Impuls heraus. Seit zehn Bänden ist der menschenscheue Ermittler jetzt unterwegs; der elfte Band heißt „Eiseskälte“.

Und eiseskalt wird einem beim Lesen garantiert – nicht nur, weil immer wieder Schneestürme durch die Seiten wehen. Der Kommissar selbst hat nämlich als Kind seinen kleinen Bruder im Schneesturm verloren. Und gleichfalls als Kind hat er immer wieder von einer mysteriösen Geschichte raunen hören, damals, nach dem Krieg: von einer jungen Frau, die loswanderte, um über den Berg ins Nachbartal zu wandern, in einen Schneesturm geraten sein muss und nie ankam. Was ist damals geschehen? Wo ist die Frau geblieben? Und Erlendur erhebt sich von seinem kargen Schlaflager, steigt ins Auto und ist schon unterwegs, Menschen von damals zu finden, die noch etwas wissen könnten.

Ein Haus kann Schutz bieten, ein Haus kann auch eine Falle sein – etwa, wenn einer klingelt und gleich abdrückt, wenn man ihm öffnet. Der über den ersten Toten hinwegsteigt, nachlädt und abdrückt, bis alle tot sind: die Eltern und zwei Kinder. Entsprechend ratlos stehen bald die Ermittler in diesem Haus, suchen nach Spuren, nach einer Erklärung. Und nach dem Täter. Warum erschießt einer ein Kind, das sich im Schrank versteckte? Und weil so viel Grauen schwer aushaltbar ist, strickt das Krimi-Duo Hans Rosenfeld und Michael Hjorth jede Menge Neben- und Zwischenhandlung um das Geschehen herum.

Das ist ihr Erfolgrezept für den nun vierten Band ihrer Reihe um den Kriminalpsychologen Sebastian Bergman, der da heißt: „Das Mädchen, das verstummte“. Bergman, der Widerling, der Sexprotz, der Angeber, ist erneut alles andere als ein Sympathieträger. Erneut versuchen die Kollegen mit ihm zurechtzukommen – denn am Ende hat Bergman den richtigen Riecher und weiß, was zu tun ist. 586 kurzweilige Seiten lang.

Und ein zweites Paar tritt an, jene Krimifans zu erobern, die noch Bücher lesen: Cilla und Rolf Björlind. Die beiden sind verantwortlich für die Drehbücher der Fernsehfilme um Kommissar Martin Beck, dessen Figur wiederum zurückgeht auf die Romane der Gründungseltern des schwedischen Krimis: Maj Sjöwall und Per Wahlöö.

Es wundert daher nicht, dass auch die Björlinds zwei gebrochene Helden ins Feld führen: den ehemaligen Kommissar Tom Stilton und die Polizistin Olivia Rönning, die noch nicht genau weiß, ob sie wirklich Ermittlerin sein will. „Die dritte Stimme“ heißt der zweite Band, auch dies ein Buch, das gekonnt die Brücke von einem Verbrechen in Marseille hinüber zu einem Haus im Stockholmer Vorort Rotebro schlägt: Wo eine junge Frau gerade die Tür zu ihrem Elternhaus aufschließt und ihren Vater an einem Balken hängend vorfindet. Selbstmord? Aber nicht doch – wissen wir Krimifans. Die nun wissen wollen, wissen müssen: Wie hängen diese beiden Taten zusammen? Und wer steckt dahinter?

Marc Freund: Endstation Steilküste. Boyens, Hamburg; 280 S., 10,95 Euro

Arnaldur Indridason: Eiseskälte. Bastei Lübbe, Köln; 396 S., 9,99 Euro

Rosenfeld & Hjorth: Das Mädchen, das verstummte. Wunderlich, München; 586 S., 19,95 Euro

Cilla & Rolf Björlind: Die dritte Stimme. BTB, München; 540 S., 19,99 Euro