Psychodruck in Seelenheilanstalt

Im Klinikum Wahrendorff soll ein Stationsleiter Patienten misshandelt und Mitarbeiter verängstigt haben. Gewerkschaft kritisiert Lohndumping. Pflegeeinnahmen sollen für Pacht verwandt worden sein. Direktion weiß angeblich nichts von Kritik

VON MONA GROSCHE

„Halt’s Maul“, pflaumt der Stationsleiter den Patienten an. Als der psychisch kranke Mann nicht reagiert, sprüht er ihm Pflegeschaum – eigentlich zur Reinigung des Genitalbereichs gedacht – in den Mund. Was wie Szenen aus einer Neuverfilmung von „Einer flog übers Kuckucksnest“ anmutet, spielte sich bis vor kurzem in einer der größten psychiatrischen Privatkliniken in Europa, dem Klinikum Wahrendorff bei Hannover ab.

Bekannt wurden die Praktiken auf der Station AST 2, einer geschlossenen Akutstation für Menschen ab 55, als Mitarbeiter anderer Bereiche dorthin versetzt wurden – und vor Entsetzen über die Zustände schleunigst wieder weg wollten. Nach ihren Berichten flößte Klaus W.*, seit 2004 Stationsleiter, schlafenden Patienten Flüssigkeit ein. Gesundheitliche Probleme, die bei einer Patientin daraufhin auftraten, kommentierte er lapidar, sie habe sich „verschluckt“ und gehe deshalb „kaputt“.

Andere zwang er unter Polizeigriff zur Einnahme von Medikamenten. Und auch die Körperpflege war für „lästige“ Patienten kein Vergnügen: Sie wurden von Kopf bis Fuß mit Pflegeschaum eingesprüht, der jedoch nicht abgewaschen, sondern nur mit einem trockenen Tuch abgewischt wurde. Untergebene, die sein Verhalten kritisierten, soll er mit Druck und Drohungen zum Schweigen gebracht haben.

Angst vor Publicity

Die Leidenszeit auf der AST 2 hat nun ein Ende: Der Stationsleiter wurde vor die Tür gesetzt. Bis dato gibt es keinerlei Hinweise auf strafrechtliche Konsequenzen der Übergriffe. Die jahrelang praktizierten Misshandlungen sollen so unter den Teppich gekehrt werden, vermuten Insider, denn im „Fachkrankenhaus für die Seele“ fürchte man nichts so sehr wie ein schlechtes Image, und erledige die Angelegenheit lieber im stillen Kämmerlein.

Doch für negative Publicity sorgen nicht allein die Misshandlungsfälle. Die Klinik ist für stetig schlechter werdende Arbeitsbedingungen und kontinuierliche Attacken gegen gewerkschaftliche Strukturen bekannt. Kritiker sehen die aktuellen Misshandlungen als direkte Folge der Unternehmenspolitik: „Hier werden Vorgesetzte nicht nach Qualifikation ausgesucht, sondern danach, dass sie die Linie der Klinikleitung umsetzen“, kommentiert ein Angestellter, der lieber anonym bleibt.

Auch Klaus W. sei für den Posten nicht geeignet gewesen – im Gegenteil: Er habe ein Alkoholproblem, von dem die Klinikleitung bereits vor der Beförderung wusste. „Die suchen sich Leute aus, die Probleme haben und deshalb erpressbar sind“, so die Einschätzung weiterer Mitarbeiter, die aus Angst geschwiegen haben. „Bei 24 statt 19 vorgesehenen Patienten, von denen einige fixiert sind, und das bei dauernder Unterbesetzung – man bräuchte eigentlich Rollschuhe, um von einem Patienten zum nächsten zu hetzen“, beschreibt Nandor Pouget, von der GGB (Gewerkschaft Gesundheitsberufe) seine Erfahrungen in Wahrendorff.

Gefährliche Personalnot

Auch ihn überraschen die Vorfälle nicht wirklich, da immer mehr Zivis und studentische Aushilfen die Arbeit von Pflegekräften übernehmen. „Da muss dann auch schon mal eine Hauswirtschafterin Sitzwache bei einem hoch psychotischen Patienten halten“, sagt Pouget. Dass das ins Auge gehen kann, zeigt nicht nur der Skandal um Klaus W. Erst vor kurzem wurden drei Mitarbeiter von einem aggressiven Patienten angegriffen und verletzt. 2004 wurde eine Angestellte Opfer eines sexuellen Übergriffs - wegen Unterbesetzung musste sie sich allein um einen Patienten auf der geschlossenen Station kümmern.

Die Fluktuation unter den examinierten Kräften ist groß angesichts solcher Zustände. Für die, die bleiben, heißt das Motto meist „Augen zu und durch“. Einschüchterung und Bespitzelung sollen an der Tagesordnung sein, seit 1993 Matthias Wilkening, FDP-Mitglied und „bekennender Kapitalist“ die Klinik übernahm. Seither herrsche er in Gutsherrenmanier über „seine“ Angestellten, so die Kritiker. Seit 1999 stellt der erklärte Gewerkschaftsfeind neue Arbeitnehmer nur noch zu sich ständig verschlechternden Dumpinglöhnen ein. Bereits beschäftigte, dem Tarif entsprechend bezahlte Arbeitnehmer ließ er unter Androhung von Kündigungen neue Verträge unterzeichnen. De facto hieß das: Einfrieren des Gehalts auf Lebenszeit, gekürztes Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Erhöhung der Arbeitszeit von 38,5 auf 40 Stunden.

Von knapp 200 Angestellten, die sich dem massiven Druck widersetzten, sind mittlerweile nur noch 30 übrig. Mühsam erstreiten sie vor Gericht ihr tarifliches Gehalt rückwirkend im Halbjahrestakt. „Kaum haben sie eine Nachzahlung unter Androhung des Gerichtsvollziehers erwirkt, müssen sie für die nächsten sechs Monate schon wieder Klage einreichen, so geht das endlos weiter“, kommentiert Pouget.

Wer sich gegen die Abwärtsspirale beim Lohn und für bessere Arbeitsbedingungen einsetzt, arbeitet unter Dauerbeschuss. Das erleben auch die Mitglieder der Betriebsratsgruppe „Courage“. „Die Wahrendorff-Prozesse allein sichern eine halbe Richterstelle“, witzelt man deshalb bereits unter Beobachtern. Vor allem seit der Betriebsrat im Juni 2006 ein Dossier zur wirtschaftlichen Situation der Klinik verfasste, hagelt es Kündigungen und Ausschlussverfahren.

Pacht für die eigene Tasche

Anhand alter Dienstplänen errechneten die Autoren in dem Dossier, dass im Jahr 2006 mindestens 11,7 Millionen Euro kalkulierter oder vereinbarter Personalkosten nicht für die Erbringung von Hilfe- und Pflegeleistungen verwendet wurden. Der nicht verwendete Personalkostenbetrag von 1994 bis 2007 soll sich auf mehr als 110 Millionen Euro summieren. Das Geld soll unter anderem für überhöhte Pachtzahlungen (jährlich mindestens 5,5 Millionen) verwendet worden sein. Verpächter ist Wilkening selbst.

Alfred Jeske von der Geschäftsleitung hält diese Vorwürfe für unhaltbar. „Die haben nichts mit der Realität zu tun“, so Jeske gegenüber der taz. Inhaltlich hat die Klinikleitung aber bis heute dem Betriebsrat keine Stellungnahme vorgelegt, die die Betrugsvorwürfe entkräftet hätte.

In der Geschäftsleitung will man überhaupt noch nie von Vorwürfen aus der Arbeitnehmerschaft gegenüber der Klinik gehört haben. Die Arbeitnehmer stehen nach Alfred Jeske „auf der Seite derjenigen, die ihnen die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes garantieren“. Der Betriebsrat habe sich „nachhaltig von der Basis entfernt“.

Dennoch geht man nicht gerade zimperlich vor, um die „isolierten“ Kritiker im Unternehmen loszuwerden, wie die Aussage des ehemaligen Personalchefs, Dietrich Eichholz, zeigt. Im Februar sagte dieser vor Gericht aus, auf Betreiben der Geschäftsführung Kündigungsgründe gegen einen Betriebsrat erfunden zu haben. „Das ist allein seiner Fantasie entsprungen“, so die Geschäftsleitung. Danach musste die Klinik allerdings einige empfindliche Schlappen vor Gericht einstecken.

Sprechverbot geplant

Die Freude darüber ist jedoch beim Betriebsrat eher verhalten. „Wir wissen, dass die Klinikleitung mit der Zermürbungstaktik weitermacht“, sagt ein Betriebsratsmitglied. An Aufgeben denkt er aber nicht: „Wir fangen gerade erst an!“ Die nächste Gelegenheit dazu steht bereits vor der Tür: Wie die GGB in einem Flugblatt berichtet, soll ein „Verhaltenskodex“ eingeführt werden. Der untersagt nicht nur jeden privaten Kontakt zwischen Patienten und Beschäftigten – auch über den Klinikaufenthalt hinaus – sondern verhängt ein Redeverbot über alle „klinikinternen Angelegenheiten“, wozu natürlich auch die Arbeitsbedingungen zählen.

*Name geändert