: Schnuppertag bei Scientology
„Auditing“, „Dianetik“ und John Travolta. Hat alles irgendwie mit Scientology zu tun. Wie aber wirbt die nach eigenen Angaben am schnellsten wachsende Religion Mitglieder an? Ein Selbstversuch in der „Scientology Kirche Hamburg“
Einer der Hauptfeinde von Scientology in Deutschland ist Ursula Caberta, die Sektenbeauftragte des Hamburger Senats und Leiterin der „Arbeitsgruppe Scientology“. Nachdem bekannt geworden war, dass zwei ausstiegswillige Kinder von Scientologen aus Berlin bei Caberta Schutz gesucht hatten (taz berichtete), hätten die Anwälte der Eltern Strafanzeige „wegen der Verletzung von Privat- und Dienstgeheimnissen“ gestellt, teilte Scientology am Mittwoch mit: Caberta sei mit den Daten eines 14-jährigen Mädchens gegen dessen Willen an die Öffentlichkeit gegangen. Auch wegen ihres „Schwarzbuch Scientology“, das in diesem Monat im Gütersloher Verlagshaus erscheint, hat Caberta Ärger mit Scientology-Anwälten. In mehreren Abmahnschreiben fordern diese die Tilgung kritischer Passagen, teilte die Verlagsgruppe Random House mit. Unter anderem solle Caberta nicht weiter behaupten, Scientology-Kinder würden von deutschen Schulen genommen und nach Dänemark verbracht. taz
VON CONSTANTIN WISSMANN
Hier steht man nicht lang allein. Eine ältere Dame kommt aus dem Kastengebäude mit dem riesigen Kreuz heraus. „Was wissen Sie über Scientology“, fragt sie. „So dies und das habe ich gelesen“, antworte ich. „Möchten Sie sich vielleicht einen Film anschauen und mehr erfahren? Kostenlos.“ Ich folge ihr in die Hamburger Scientology-Kirche, die direkt gegenüber der altehrwürdigen St.-Petri-Kirche am Domplatz erbaut worden ist.
Ganz wohl ist mir nicht, als ich der Frau hinterhergehe.Im Foyer treffen sich 70er-Jahre-Charme und High-Tech: braune Möbel, gelbes Licht und Flachbildschirme. Alles picobello sauber. Dezent gekleidete Mitarbeiter stehen herum. Wir gehen in den Keller. Mein Herz klopft. Vorbei an einem „Andachtszimmer“ zu einem Kino-Saal. Ohne Besucher. Ich setze mich an den Rand. Die Frau wünscht viel Spaß. Ich bitte sie, die Tür offen zu lassen. Licht aus, und „Orientation“ kann beginnen.
Zu pompöser Musik zoomt die Kamera vom All auf die Erde. Dann begrüßt mich, auf Englisch mit ungenauen deutschen Untertiteln, ein Vorzeige-Amerikaner. Schlank, braungebrannt, Föhnfrisur, Zahnpasta-Lächeln. Er möchte für mich herausfinden, was Scientology ist. Seine Reportage beginnt mit schnell aufeinander folgenden Bildern der imposanten Scientology-Bauten in den USA und England. Sogar eine Luxus-Segelyacht haben die. Dann präsentiert er die Urteile mehrerer Gerichte, die der Organisation den Status einer Religion bescheinigen. Ein Spruch des Stuttgarter Landesgerichts wird mit gekünsteltem Nazi-Akzent vorgetragen. Das ist also geklärt, nun geht es „inside Scientology“.
Wie ein Werbespot
Der Reporter trifft den Kurator einer Ausstellung über L. Ron Hubbard, Science-Fiction-Autor und Scientology-Gründer. Die Organisation ging aus seiner als Dianetik bezeichneten Lehre hervor. Die bezeichnete er als „angewandte religiöse Philosophie“. „Aber Hubbard war doch nicht nur Schriftsteller und Philosoph“, fragt der Reporter. „Nein, er war unter anderem auch Forscher, Wissenschaftler, Navy-Offizier, Kernphysiker, Kriegsheld und Fotograf“, sagt der Kurator. Der Film kommt mir vor wie ein überlanger Werbespot. Die konsequent wabernde Musik nervt.
Am deutlichsten bleibt mir der filmische Besuch beim Chef der Persönlichkeitstests in Erinnerung. Der Mann hält mehrere Graphen hoch, die die Entwicklung der Persönlichkeit eines Menschen darstellen, der am so genannten „Auditing“ teilgenommen hat. Damit ließe sich der Intelligenzquotient innerhalb von zwölf Stunden um zehn Punkte steigern.
Dann wuchert Scientology mit seinen besten Pfründen. Ein Dutzend glücklicher Kunden, nur identifiziert durch ihren Beruf (Ärztin, Musiker, Feuerwehrmann, Schulleiter, Bauarbeiter), erzählen, was für einen positiven Einfluss die Lehre auf ihr Leben hat. Als letzter der Parade erscheint John Travolta. Das Schlussplädoyer hät der Reporter: „Sie müssen jetzt nicht Dianetik studieren, Sie können den Raum verlassen und Ihr Leben weiterleben wie bisher. Es wäre dumm, aber es ist Ihre Wahl, genauso wie es Ihre Wahl ist, von einer Brücke zu springen oder sich das Gehirn mit einer Knarre wegzublasen. Aber wenn Sie bei Scientology bleiben, wären wir sehr glücklich mit Ihnen. Und Sie wären mit sich glücklich.“
Das Licht geht wieder an. Ich gehe auf den Flur. Wie zufällig läuft mir André über den Weg: Mitte 20, Nickelbrille, Blauhemd. Dynamisch und freundlich wirkt André. Beiläufig fragt er, wie ich den Film fand, ob ich noch Fragen hätte. Neben André fühl ich mich wohl. „Ja, ich habe gehört, man kann diesen Test machen?“ „Kein Problem“, sagt André. „Kostet auch nichts.“ Auf dem Tisch im Foyer liegen Kuli und Papier bereit. „Oxford Capacity Analysis“ steht darauf. „Hat das was mit der Uni zu tun?“ Das weiß André nicht. Auf dem Bogen sind 200 Fragen. Ich soll zuerst meine Daten angeben. Ich schreibe mein richtiges Alter und einen falschen Nachnamen auf. Den Rest lasse ich frei. André beschwert sich nicht und geht. Gerade als ich den Test beginnen will, kommt ein Gruppe Jugendlicher ins Foyer. Kurzes Durcheinander, dann ruft ein Junge: „Und Ihr glaubt wirklich den ganzen Schwachsinn hier?“ Ich lächle ihn an. Will im zeigen, dass ich nicht hierhin, sondern in seine Welt gehöre. Doch er sieht mich nicht. Die Empfangsdame geleitet die Gruppe höflich, aber bestimmt hinaus. Ich mache mich an die Fragen. Zum Beispiel: „Kauen Sie an ihren Fingernägeln oder Gegenständen herum?“ Oder: „Müssten Sie sich eindeutig anstrengen, um über Selbstmord nachzudenken?“ Ich antworte ehrlich mit „eindeutig“, „mittel“ oder „nicht zutreffend“. Nach einer Stunde bin ich fertig. André nimmt das Blatt. Fünf Minuten später kehrt er mit einer Grafik zurück. Die erinnert mich an einen Aktienindex.
„Es sieht nicht gut aus“
„Es sieht nicht gut aus“, sagt André. Mein Seelenzustand und mein Verantwortungsgefühl liegen tief im „unakzeptierbaren Zustand“. Knapp „wünschenswert“ sind Auftreten und Kommunikationsfähigkeit. Einfühlsam fragt André, was mich bedrückt. Wir duzen uns. Mir wird bewusst, wie viel André schon über mich weiß. Etwa, dass ich meinen Freunden öfter zuhöre, als sie mir. „Und Scientology kann mir über die Probleme hinweg helfen“, frage ich. „Es ist ein Weg, der für viele funktioniert“, sagt André. Für ihn zum Beispiel. André ist seit sieben Jahren aktiv dabei, seine Mutter schon länger.
Die vielen Gerüchte und die Geschichten von Aussteigern stören ihn nicht. „Ach nee, das sind immer die gleichen, die seit 20 Jahren dieselben Geschichten erzählen“, sagt André. „Wenn die Sachen wahr wären, wäre Scientology schon längst verboten. Doch wir sind immer noch die am schnellsten wachsende Religion.“ Außerdem würde die Presse immer nur die schlechten Dinge berichten. Nie höre man zum Beispiel von „Narcom“, die Entzugsmethode der Organisation, die eine Erfolgsrate von 70 bis 80 Prozent aufweise.
André weiß schon genug
André fragt nichts mehr. Ist er misstrauisch? Eins möchte ich aber noch wissen. „Was ist Auditing?“ Andrés Augen leuchten. Auch das kann ich ausprobieren. Natürlich kostenlos. Wir gehen zu einem Gerät, das aussieht wie eine Mischung aus Drehzahlmesser im Raumschiff Orion und Märklin-Eisenbahn-Transformator mit zwei Metallrollen. Die soll ich in die Hand nehmen und an etwas denken, was mich aufgeregt hat. Tatsächlich: Die Anzeige schlägt hart nach rechts aus. „Siehste“, triumphiert André, und fragt, an was ich gedacht habe. Er weiß aber schon genug, finde ich. „Das Gerät zeigt, ob man ein negativ prägendes Erlebnis verarbeitet hat“, sagt André. Mit „Auditing“-Sitzungen könne man das erreichen. Wie genau, stehe übrigens in Hubbards Buch „Dianetik“. Das soll ich mal lesen. Ich schaue auf die Uhr. Zwei Stunden bei Scientology. Ich muss los. „Klar, kein Problem“, sagt André. Er drückt mir noch eine Broschüre in die Hand. „Wir werden dich nicht festhalten.“ Ich bemühe mich zu lachen. Und gehe hinaus.