: Motor aus
Selbst in den aufbrechenden Fünfzigerjahren haben sich Motels in Deutschland nicht durchsetzen können. Erhalten geblieben sind ihr schlechter Ruf, der Gedanke an Norman Bates – und viel Nostalgie. Denn es gibt noch welche, sogar neue. Eine kleine Zeitreise
VON JAN FREITAG
Es riecht nach Benzin und Blumen. Nicht ungewöhnlich in einer ebenso dicht befahrenen wie grünen Metropole wie Hamburg. Aber hier, inmitten einer malerischen Oase in Innenstadtnähe, fällt das seltsame Gemisch doch auf. Genau genommen dürfte es diesen Ort auch gar nicht geben. Nicht in diesem Land, nicht in dieser Stadt, nicht im Jahr 2007: Umgeben von drei Birken und gepflegten Beeten plätschert da märchenhaft ein kleiner Springbrunnen. Vor zwei Dutzend orangeweiß gestreiften Garagen ringsum brummeln derweil drei Familienwagen. Daneben rankt wilder Wein die dürren Streben hoch zum Laubengang, in den Blumenkästen blühen rot die Geranien.
Eine Zeitreise
Der Weg durch die gut beschilderte Hofeinfahrt ist eine Art Zeitreise in die Vereinigten Staaten der Fünfzigerjahre. Dort würde das pittoreske „Motel Hamburg“ auch heutzutage kaum auffallen. Aber hier, am Rande einer deutschen Innenstadt? „Wir sind ein Relikt“, sagt Marion Grimm ohne zu lächeln über jenes Haus, das die Dame mit dem eisgrauen Haar seit bald 20 Jahren leitet. Es ist ein Überbleibsel einer Epoche, die auch in Europa von ungeheurer Motorisierung geprägt war. Nur ihre gastronomische Ausprägung – das Motel – wollte außerhalb der USA nie so recht Fuß fassen. Umso erstaunlicher, dass rings um die grüne Insel im Innenhof des “Motel Hamburg“ seit 1959 ungebrochen reger Verkehr herrscht. Ein Vierteljahrhundert zuvor war auf halbem Wege von Los Angeles nach San Francisco das legendäre „Milestone“ eröffnet worden, in einer Ära des Aufbruchs, da die Strecke entlang der amerikanischen Westküste noch zwei Tagesreisen durchs Nichts in Anspruch nahm. Das bedurfte der Pausen und zwar komfortablerer, als die rustikalen Zeltplätze der unzähligen Autocamps zu bieten hatten. Die Besitzer tauschten also den Anfangsbuchstaben des Hotels gegen ein M, zollten damit der wachsenden Mobilität Tribut, verkürzten den Weg vom Parkplatz zur Zimmertür auf wenige Zentimeter und sorgten somit für eine kleine Kulturrevolution.
Nachtasyl und Eile
Motel – das stand fortan für Nachtasyl und Eile, für Minimalservice und Erschwinglichkeit, für leichte Schäbigkeit, mehr aber noch für leichten Schauder. Seit ein gewisser Norman Bates 1960 eine flüchtige Kriminelle beim Duschen in seinem schwarzweißen Motel zerhackte, waren die motorgerechten Herbergen für Durchreisende zwar in aller Munde, ihr Ruf aber weitestgehend ruiniert. Auch jetzt ist wieder mal ein Motel Schauplatz eines gleich lautenden Hollywoodfilms und es geht darin – wie könnte es anders sein – um eine Horrorstory. Das Bild funktioniert eben noch immer. Gerade den Deutschen mit ihrem Hang zu Ordnung, Sauberkeit und Sitte sind die pferdestarken Unterkünfte seit jeher suspekt. Zumal die Distanzen vergleichsweise kurz und hektische Zwischenhalte unnötig waren. Kein Wunder also, dass die hiesigen Modelle meist Zwitterwesen waren. Gerade in Hamburg, einer Stadt der kurzen Wege.
An großen Straßen entstanden eher Rasthöfe, die gewöhnlichen, mehrstöckigen Hotels mit Autobahn-Anbindung eher glichen als dem üblichen Reihenpavillonstil amerikanischer Provenienz. Genau die nämlich, ist auch vom Hotel- und Gaststättenverband Dehoga zu hören, waren bei uns immer ein Nischenprodukt. Zahlen über den Bestand werden nicht geführt, sie sind aber definitiv seit den Siebzigerjahren rückläufig. Motels, die den Bedeutungsverlust überlebt haben, wuchern eher mit dem Nostalgiepfund als mit Kfz- gerechter Unterbringung.
Dennoch ist der Begriff nicht tot zu kriegen. Im Gegenteil. Nach wie vor entfaltet er eine sonderbare Sogwirkung. „Natürlich kommen die Leute gezielt zu uns“, muffelt der Mann an der Rezeption des „Motel 21“ über den Tresen und kritzelt weiter im gut gefüllten Reservierungsblock. Hier zählt noch Handschrift, das Mobiliar bewegt sich irgendwo zwischen Schwarzwaldstube und Resterampe. An der dunkel getäfelten Wand hängt ein Foto von Cindy & Bert. Mit Widmung. Seit fünf Jahrzehnten liegt das zweite erhaltene Motel der Hansestadt verkehrsgünstig östlich der Alster, ohne Schnickschnack, ohne Kieznähe, dafür mit raschem Zugang zur Autobahnauffahrt nach Berlin und viel Tradition.
Architektonisch flach
Nicht nur unter Besitzern dicker Amischlitten gilt der flache Hufeisenbau mit seinen gut zwanzig ebenerdigen Zimmereingängen deshalb als Geheimtipp – mit seiner klassischen Neonreklame, die sich hoch Richtung wolkenverhangenem Himmel reckt. Mit den prominenten Parkplätzen vorm Fenster und dem Schild, nur vorwärts einzuparken, an das sich kaum jemand hält. Im Motel will man keine Umwege vom Kofferraum zum Türschloss. Architektonisch flach, stilistisch Flohmarkt, atmosphärisch Kleinstadt hat es zwar längst nicht mehr die Bedeutung der amerikanophilen Rock‘n‘Roll- Periode, aber noch immer seinen morbiden Highwaycharme, etwas verrucht, etwas staubig, von einer ungemein gestrigen Modernität.
Damit hat das „MotelOne“ zwar weniger zu tun als mit dem luxuriösen „Vier Jahreszeiten“ im Stadtkern; aber die deutschlandweite Kette hat sich den Namen für ihre bislang 22 Häuser ohnehin nur geborgt, um sich ein kleines Alleinstellungsmerkmal zu verschaffen. Bei den Harley Days hat das bestens geklappt. Mindestens 70 der lauten Maschinen made in USA standen vor einigen Wochen in der Tiefgarage an der schmucklosen Kieler Straße, nachdem weitere 60.000 davon die Reeperbahn zur jährlichen Parade erschüttert hatten. Das schwere Lederoutfit ihrer Fahrer biss sich zwar etwas mit dem gediegenen Ambiente des fünfstöckigen Hauses, nicht aber mit dem Namen. Der Ruf von Motels, gesteht Direktor Steffen Schulz, „ist natürlich schon eher mies“. Umso überraschter seien seine Gäste dann aber nach einer Nacht im loungigen Ambiente, Typ Designhotel. Ein Motel hätten sie nicht gerade gesucht, sagt auch Harley-Davidson-Fan Darko Deutschmann vor der langen Heimfahrt ins Schwäbische, eher ein billiges und verkehrsgünstiges Hotel. „Aber wo wir mal hier sind, passt es doch perfekt.“
So was ist von Motel-Gästen oft zu hören. Nicht gesucht und doch gefunden gewissermaßen. „Einige fragen sogar, ob sie überhaupt ohne Auto kommen dürfen“, schildert Marion Grimm die seltenen Berührungsängste ihrer Gäste mit dem überkommenen Typus. Sie dürfen, aber wenn sie dort sind, scheinen Kraftfahrzeuge irgendwie doch die nahe liegenden Verkehrsmittel zum „Motel Hamburg“. Hinein in die Fünfzigerjahre, auf Zeitreise in eine Ära, als Autofahren noch keinen umweltfeindlichen Makel besaß und Fahrtstrecken irgendwie länger schienen. Als Motels spannend waren. Und Benzingeruch fortschrittlich.
Motel Hamburg, Hoheluftchaussee 117-119, 20253 Hamburg, Tel: 040-4204141, www.motel-hamburg.de Motel One Hamburg-Altona, Kieler Straße 171, 22525 Hamburg, Tel: 040- 89720690, www.motel-one.com Motel 21, Droopweg 21, 20537 Hamburg, 040-211313, www.motel21.net