„ELISABETH, EIN HITLERMÄDCHEN“
: Für Verzweiflung ist bei ihr kein Platz

Berlin auf Blättern

JÖRG SUNDERMEIER

Es ist ungewöhnlich, dass in einem Jahr in einer Kolumne zweimal dieselbe Autorin vorgestellt wird, doch hier muss man es einfach tun: von Maria Leitner, die im Februar an dieser Stelle mit ihrem kurzen Roman „Mädchen mit drei Namen“ vorgestellt wurde, ist ein weiterer, unbedingt zu empfehlender Roman erschienen, der gerade in Zeiten von Pegida und HogeSa eine bedrückende Aktualität erlangt.

Maria Leitner, die 1892 im ungarischen Varasdin geboren wurde, war eine bekannte Journalistin im Berlin der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre, bevor sie ins Exil gehen musste. Doch sie kehrte, gewissermaßen „undercover“, immer wieder ins „Reich“ zurück, was für sie, die der KPD nahestand, lebensbedrohlich war. Neben einigen Reportagen aus dieser Zeit, die der jetzt gerade erschienene Band „Elisabeth, ein Hitlermädchen“ enthält, ist es vor allem der gleichnamige Roman, der Aufmerksamkeit erregt.

„Elisabeth, ein Hitlermädchen“ erschien vom April bis zum Juni 1937 in der Exilzeitung Pariser Tagblatt als Fortsetzungsroman. In einer Buchausgabe erschien er erstmals 1985 in der DDR. Dies sollte die 1942 gestorbene Autorin nicht mehr erleben. Nun ist ihr Roman endlich wieder verfügbar. Er ist eine Parodie auf den Propagandatext „Ulla, ein Hitlermädel“, den Helga Knöpke-Joest im Jahr 1933 veröffentlichte. Doch zugleich ist er viel mehr, er ist ein Sittengemälde aus der NS-Zeit – und, da Leitner ihre Aufgabe als Schriftstellerin im Sinne Schillers als didaktische begriff, er ist auch ein Entwicklungsroman. Schon vor ihrer Emigration hatte sich Leitner mit den Nationalsozialisten auseinandergesetzt, sodass sie einen sehr glaubwürdigen Ton trifft.

Elisabeth ist Schuhverkäuferin in Berlin und begeisterte Anhängerin Hitlers. Weniger allerdings interessieren sie die politischen Vorhaben als vielmehr ihr eigenes Glück: „Ich will jetzt glücklich sein, wo ich jung bin. Hitler hat nichts von ,Vielleicht werden wir das Paradies nicht mehr selbst erleben‘ gesprochen. Er hat gesagt, es würde gleich, sofort anders werden. Es interessiert mich nicht, was in hundert Jahren geschieht!“ Doch leider passiert das Gegenteil. Erwin, ein junger, fescher SA-Mann, in dessen beherzte Art sich Elisabeth verliebt, schwängert sie. Und überredet sie zur Abtreibung: „Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen“, versichert er ihr, „es ist gesetzlich. Der Arzt ist ein Nationalsozialist.“

Später erlebt Elisabeth, die sich zur Landhilfe verpflichtet hat, dass die Ideologie der Nazis nicht nur „Fremde“, sondern auch ihre Freundinnen und sie selbst betrifft, und sie beteiligt sich an einem – kleinen – Aufstand, der sie dann aber vieles kosten soll.

„Elisabeth, ein Hitlermädchen“ ist ein dichter Roman, der vieles ganz simpel in der Sprache des einfachen „Mädels“ beschreibt, das jedoch, wie gesagt, aus pädagogischen Gründen. Nicht nur wollte Leitner die Exilierten darüber informieren, wie es in Nazideutschland ist, sie wollte auch ein Buch schreiben, dass jenen, die der Naziideologie verfallen sind, die Augen öffnen könnte. Leitner, die von Anna Seghers und Oskar Maria Graf unterstützt wurde, aber dennoch im Exil verarmte, hat offenkundig nie aufgehört, für das Gute zu kämpfen, in ihren Schriften ist für Verzweiflung kein Platz. Umso mehr sollte Maria Leitner nun, da ihre Werke wiederentdeckt werden, gelesen werden. Ja, eigentlich sollte sie, angesichts der allüberall einsetzenden Verdummung, zur Schullektüre gemacht werden. Denn sie schreibt nicht nur über den Nationalsozialismus, sie versteht auch, bei allem Abstand, seine Anhänger und kann den ideologischen Kern der Bewegung daher umso genauer analysieren.

■ Maria Leitner: „Elisabeth, ein Hitlermädchen“. Aviva Verlag, Berlin 2014, 392 Seiten, 19,90 Euro

■ Jörg Sundermeier ist Verleger des Verbrecher-Verlags