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Archiv-Artikel

Nadelstiche aus der Boulderhalle

AMAZON-STREIK Die Amazon-Mitarbeiter, die an den vier deutschen Standorten in den Ausstand getreten sind, wollen durchhalten bis Heiligabend. Das US-Unternehmen gibt sich offiziell betont gleichgültig

BERLIN taz | Das Streik-Camp vor dem Logistikzentrum in der Amazonstraße 1 in Leipzig ist erst einmal geräumt. Die streikenden Mitarbeiter des Onlineversandhandels haben sich am Montag in eine Boulderhalle zurückgezogen, einige brachten ihre Kinder mit. Etwa 400 Leipziger Amazon-Angestellte hatten sich gestern Morgen in die Streikliste eingetragen. Weniger als in der Vorwoche, aber das liege daran, dass viele schon Urlaub hätten, sagt Thomas Schneider von Verdi. „Wir stimmen uns langsam auf Weihnachten ein.“

Seit einer Woche bestreiken über 2.000 Amazon-Mitarbeiter mit Unterstützung der Dienstleistungsgewerkschaft das Weihnachtsgeschäft des US-amerikanischen Onlinehändlers. Auch im französischen Chalon-sur-Saône traten Amazon-Mitarbeiter am Montag in den Streik.

Verdi will einen Tarifvertrag zu den Bedingungen des Einzelhandels durchsetzen. Leipziger Mitarbeiter erhielten so einen Einstiegslohn von 11,32 Euro pro Stunde; derzeit sind es 9,75 Euro. Amazon sieht sich hingegen als Logistikunternehmen und will gar keinen Tarifvertrag. Bisher konnte Verdi mit seinen Forderungen nicht durchdringen.

Es gebe keinerlei Lieferverzögerung, sagt eine Amazon-Sprecherin. Amazon beschäftige 10.000 feste Mitarbeiter in Deutschland und hätte derzeit zusätzlich 10.000 Saisonkräfte eingestellt. Nur ein sehr kleiner Teil der Beschäftigten würde sich also am Streik beteiligen.

„Der Streik wirkt sehr wohl“, meint Thomas Gürlebeck, Verdi-Vertreter am Standort Graben in Bayern. Graben ist einer von vier deutschen Standorten, an denen Mitarbeiter bis einschließlich Heiligabend durchstreiken wollen. „Ein Kollege, der fleißig bestellt, hat uns berichtet, dass gerade die Prime-Produkte mit einer Lieferzeit von einem Tag verspätet ankamen“, erzählt Gürlebeck. Denjenigen, die noch arbeiteten, wachse die Arbeit über die Ohren. In Graben meldeten sich am Montag 500 von 2.300 Mitarbeitern zum Arbeitskampf.

Auch in Bad Hersfeld, wo Amazon 1999 sein erstes deutsches Auslieferungslager eröffnet hat, sind derzeit 400 von 3.300 festen Mitarbeitern im Ausstand. Auch hier hätten Testkäufe ergeben, dass Sachen zum Teil nicht mehr lieferbar seien, sagt Verdi-Funktionärin Mechthild Middecke. In Leipzig sei das Warenvolumen deutlich zurückgegangen, berichtet Scheider erfreut. „Wir waren keine große Unterstützung im Weihnachtsgeschäft.“

Für Amazon sind die letzten drei Monate die wichtigsten. Im Vorjahr machte die Firma in dieser Zeit ein Drittel ihres weltweiten Jahresumsatzes von knapp 75 Milliarden Dollar. Amazon verweist auf die 28 Standorte in Europa, die es ermöglichten, Lieferversprechen zuverlässig einzuhalten. „Wir nutzen in dieser Zeit unser gesamtes Netzwerk“, sagt die Sprecherin.

Das Unternehmen habe viel Aufwand betrieben, um die Zentren in Poznan und Wroclaw, die einen Gutteil des Handels für den deutschen Markt abwickeln, aufzustocken, kritisiert Verdi-Vertreterin Middecke. „Mit diesem Geld hätte man auch unsere Tarifforderungen erfüllen können.“ ANNA LEHMANN