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Archiv-Artikel

Der Sandkasten von RWE

Ortstermin 100 Jahre Garzweiler: Der Betreiberkonzern RWE feiert mit Hüpfburg, Schminkbude und Karussell das Jubiläum seiner Braunkohlegrube. Schon mal etwas von CO2 und Klimawandel gehört?

VON LUTZ DEBUS

Ein Loch feiert Geburtstag. Hubschrauber kreisen über ihm. Geländewagen und Reisebusse durchqueren es. Garzweiler ist am Wochenende 100 Jahre alt geworden. Die Betreiber des großen Braunkohletagebaus zwischen Aachen, Köln und Düsseldorf feiern das Jubiläum wie eine Kinderparty mit Hüpfburg, Karussell und Schminktisch für die Kleinen. An die Erwachsenen verschenkt die Konzernmutter RWE Kaffeebecher und Mützen. Wer von den tausenden von Gästen bis dahin noch nicht überzeugt ist, dass der Abbau und die Verfeuerung von Braunkohle eine zutiefst löbliche Beschäftigung darstellt, kann entweder in der brütenden Sommerhitze in einem Bierzelt eine Plakatausstellung ansehen oder mit einem vollklimatisierten Bus in die Grube fahren.

In der Ausstellung wird zunächst von den Anfängen der rheinischen Braunkohlegewinnung erzählt. Steiger mit Zwirbelbärten posieren mit mageren halbwüchsigen Jungs vor der Kamera. Mit Hacke und Schaufel wurde damals geschürft. Heutzutage, so erläutern die Plakatwände, sei alles viel besser. Maschinen erledigen die schwere Arbeit. Das, was vierzigtausend Männer früher schaufelten, schafft jetzt ein 90 Meter hoher und 250 Meter langer Bagger mit vier Mann Besatzung. Man sei eben immer bemüht, dass aus unseren Steckdosen auch genug Strom kommt.

So wirbt RWE für seinen Mix aus Kohle-, Gas-, Kern- und erneuerbaren Energien. Die Braunkohle, so schreit es fast von den Stellwänden, sei eine sehr saubere Energie. In naher Zukunft würden Kohlekraftwerke ganz ohne CO2-Emissionen auskommen. Die Trennung dieser Chemikalie vom Brennstoff sei machbar. Nur wisse man im Moment noch nicht genau, wohin man das Kohlendioxid leiten könne, wenn man es nicht in die Atmosphäre blasen möchte. Aber in naher Zukunft sei dieses Problem sicher lösbar. Auch ein anderer Aspekt ist den grünen Engeln der RWE wichtig. Um die Region nicht mit unbotmäßig viel Feinstaub zu belasten, werde die gesamte Grube mit überdimensionalen Rasensprengern befeuchtet.

So beginnt die Bustour durch das Abbaugebiet mit einem Platzregen aus den Wasserkanonen. Dann aber eröffnet sich den staunenden Reisenden ein atemberaubendes Panorama. Das Rheinland sieht hier – 200 Meter tief aufgeschnitten – aus wie ein Mohnstrudel frisch aus der Backstube. Helle Schichten aus Kies und Sand wechseln mit den begehrten Kohleflözen. In das Erdreich knabbert sich der imposante Schaufelradbagger 288. Die Touristen knipsen sich beim Anblick des riesigen Ungetüms fast die Finger wund. Kilometerweit fährt der Reisebus durch eine Wüstenlandschaft. Hinter den abgetönten Scheiben sieht die Welt aus wie nach durchlebter Klimakatastrophe. Dann aber, mit Verlassen der Grube, wechselt die Szenerie. Es geht durch blühende Landschaften. Das ehemalige Abbaugebiet wurde renaturiert. „Das Land, das die Bauern für den Tagebau abgeben müssen, bekommen sie an anderer Stelle wieder“, ertönt eine freundliche Frauenstimme aus den Bordlautsprechern. Kohlköpfe wachsen jetzt dort, wo früher Kohle gefördert wurde. Manche neu entstandenen Flächen seien inzwischen sogar als Landschaftsschutzgebiete ausgewiesen worden. Braunkohleabbau erscheint als purer Umweltschutz.

Weniger eine ökonomische oder ökologische als eine psychologische Sicht erhält man, wenn man das Kohlerevier aus der Luft betrachtet. Für schlappe 35 Euro ist ein Rundflug im Helikopter zu haben. Von oben sieht Garzweiler aus wie ein großer Sandkasten. Die Kräne, Bagger, Bulldozer und Lastwagen wirken wie Spielzeuge. Ein böser Verdacht drängt sich auf. Sind die Vorstandsvorsitzenden des Energiekonzerns RWE vielleicht nur kleine Jungs, die nicht erwachsen werden wollen? Zugegebenermaßen macht es mehr Spaß, auf dem Spielplatz Löcher zu buddeln als seine Mitmenschen zu bitten, weniger Strom zu verbrauchen.

Auch andere Betätigungsfelder für unreife Buben hält der Braunkohletagebau bereit. Dort, wo genug gebaggert wurde, entstehen neue, schöne Dörfer. Akurater sind diese nicht einmal mit Lego zu bauen. Und auf der anderen Seite des Tagebaues, dort, wo der Baggerzahn an der alten Landschaft knabbert, kann ein anderes Spiel gespielt werden. Abseits der offiziellen Besichtigungstouren gelangt man auf einigen Umwegen zu dem Örtchen Otzenrath. Die Zinnsoldaten fehlen. Ansonsten sieht es erstaunlich historisch aus. Das Straßennetz des Dorfes ist noch erhalten. Aber dort, wo einst Häuser standen, türmen sich nun Schuttberge. Für Garzweiler gilt: 100 Jahre und kein bisschen weise.