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Archiv-Artikel

Der Hang zur sinnlosen Verausgabung

Die Polizei ist unter die Konzeptkünstler gegangen und warnt mit einem virtuellen Plakat zum Selberdrucken im Internet vor den Hütchenspielern. Dabei sind Trickser und Betrüger auf anderen Kanälen längst effektiver unterwegs

Wenn alles mit rechten Dingen zugeht, ist Kunst nur selten gefährlich. Zumal im Falle von Kleinkunst, deren Verbreitungsgrad im öffentlichen Raum in unmittelbarem Zusammenhang mit gutem Wetter steht. All die Musikusse, die ihren potenziellen Mäzenen besonders im Sommer in Straßencafés nachstellen – sie nerven zwar, werden sich aber hüten, zahlungsunwilligen Kostverächtern mit körperlicher Gewalt zu kommen.

Eine längst für ausgestorben gehaltene Ausnahme bestätigt aber auch in diesem Fall die Regel: Es geht um den Berufsstand des Hütchenspielers, vor dem die Berliner Polizei nun im Internet mit einer zwar kleinen, aber offenbar dennoch für dringend befundenen Informationskampagne warnt. Die Beamten haben dafür besonders genau hingeschaut und „Kleingruppen, meist Staatsangehörige Ex-Jugoslawiens“ ausgemacht, die „ahnungslosen Berlinbesuchern das Geld aus der Tasche locken“. Auch wenn die Polizei hier aus Gründen des politischen Anstands nicht sagen kann, was sie eigentlich meint, nämlich: Zigeuner, ist doch klar, auf welche Physiognomie geachtet werden soll. Es geht um die Imago des verschlagenen Südmenschen – geschickt und hinterlistig wie Taschendiebe nun mal sind. Und die trifft man, das weiß jedes Kind, ja auch nur jenseits der Alpen an.

„Finger weg vom Hütchenspiel!“, lautet die eingängige Botschaft eines „Plakats“, das die Polizei im Internet zum Download bereitstellt. Ein wachsamer Beamter ist darauf zu sehen, der mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Betrachter weist, und im Hintergrund die Requisiten des betrügerischen Spiels, also ein Stück Karton, Pappschachteln und die dazugehörigen Kügelchen. Das ganze ist fett rot durchgestrichen und wird flankiert von dem international geläufigen Verkehrsschild „Stop“. Ergänzend dazu kann ein offenbar in flagranti produziertes Quick-Time-Filmchen geladen werden, das die ganze Verruchtheit der Verführungsszene unterstreichen soll. Der zugehörige Soundtrack mit schmachtender E-Gitarre war so zuletzt übrigens wohl im „Tatort“ der frühen Achtzigerjahre zu hören – wenn es zum Beispiel darum ging, die gefährlich-schwüle Atmosphäre eines Duisburger Pornoschuppens gegenwärtig zu machen.

Schließlich findet sich auf derselben Website auch die sechssprachige Informationsbroschüre „So will man Sie betrügen“. Hier zeichnet ein kommentierter Comic die einzelnen Stationen des Vorgangs nach – von der Anmache zur Fisch-an-der-Angel-Situation, vom Taschenspielertrick über den Reinfall zum Abkassierer, vom Protest zum dicken Ende. „Ein Faustschlag“, heißt es da, „das bleibt oft vom Hütchenspiel.“

Eins muss man sagen: Das Arsenal der bildgebenden Verfahren, die ästhetischen Wagnisse im Medium des Plakats, Comics und Videos, die Suggestionskraft der ästhetischen Verdichtung – all das weist die PR-Leute der Berliner Polizei als lupenreine Konzeptkünstler aus. Auch mutet ihre Öffentlichkeitsstrategie selbst als genuin künstlerisches Verfahren an: Wie sonst ist wohl das Paradox eines ins Internet zum Download gestellten, aber nirgends in der Stadt geklebten Plakats zu verstehen? Soll ein speziell interessiertes Publikum hier dazu angehalten werden, das Ding zur Dekoration der eigenen vier Wände auszuplotten?

Dabei sollte Hütchenspielerei nicht bekämpft, sondern unter Natur-, nein, Polizeischutz gestellt werden, denn am Ende bekommt doch auch der Betrogene genau das, was er eigentlich will. Von der Lust an der Niederlage und dem anarchischen Hang zur sinnlosen Verausgabung weiß die Ordnungsmacht aber wenig.

Andere sind da weiter. Schon eine halbe Stunde Fernsehen beweist, dass die Hütchenphilosophie mittlerweile ganze Sendeanstalten finanziert. Ratespiele mit telefonischem Rückkanal, halbnackte Damen, die volltrunkene Nachtglotzer zum kostenpflichtigen Anruf ins Nirvana der Warteschleife animieren – das ist das kunstlose, weil elektronisch gesteuerte Erbe eines vom Aussterben bedrohten echten Handwerks. RONALD DÜKER