: Respektlos, kompromisslos, antireligiös
SATIRE Witze über Religionen sind ein bevorzugtes Mittel von „Charlie Hebdo“. Mehrfach hat das Blatt die Wut strenggläubiger Muslime auf sich gezogen, bereits 2011 gab es einen Brandanschlag
VON PAUL WRUSCH
BERLIN taz | Die genauen Hintergründe zum Anschlag auf die Redaktion der französischen Satire-Zeitung Charlie Hebdo sind noch unklar. Doch die Hinweise verdichten sich, dass er einen islamistischen Hintergrund hat. So sind etwa in einem Video von dem Angriff „Allahu akbar“-Rufe („Allah ist groß“) zu hören. Schon in der Vergangenheit hat das französische Satireblatt mehrfach den Wut von strenggläubigen Muslimen auf sich gezogen.
Als eine von wenigen Zeitungen druckte Charlie Hebdo 2006 aus Solidarität mit der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten die umstrittenen Mohammed-Karikaturen (siehe links) nach. In einer Sondernummer ergänzte sie diese mit eigenen Zeichnungen, zeigte etwa Mohammed mit einer Bombe als Turban. Mehrere Islam-Organisationen klagten, der Prozess endete mit einem Freispruch für Charlie Hebdo.
2011 wurde auf die Redaktion ein Brandanschlag verübt. Unbekannte warfen damals in der Nacht vor dem Erscheinen der neuen Ausgabe einen Molotowcocktail in das Büro von Charlie Hebdo. Verletzt wurde niemand, das Verlagsgebäude wurde aber nahezu zerstört. Niemand bekannte sich zu dem Anschlag, allerdings gilt es als wahrscheinlich, dass religiöse Fanatiker das Erscheinen der Sonderausgabe „Scharia Hebdo“ verhindern wollten, die sich respektlos mit der muslimischen Scharia auseinandersetzte. Auch die Internetseite der Zeitung wurde damals gehackt und durch Lobeshymnen auf Allah ersetzt.
Charlie Hebdo ging 1992 aus dem Satiremagagzin Hara-kiri hervor. Die Wochenzeitung hat eine Auflage von etwa 75.000 Stück. Religiöse Satire ist ein fester Bestandteil von Charlie Hebdo. Sie reiht sich damit in die antiklerikale Tradition Frankreichs ein. Schon seit seiner Gründung bekennt sich das Blatt zur radikalen Pressefreiheit und ließ sich weder von Anschlägen noch von Drohungen einschüchtern. Prominente Zeichner standen seit Jahren unter Polizeischutz.
Im Herbst 2012 sorgte Charlie Hebdo dafür, dass Frankreich in zwanzig Ländern vorsichtshalber seine Botschaften schloss. Noch während die gewaltsamen Proteste gegen das Schmähvideo „Die Unschuld der Muslime“ in vielen Ländern der arabischen Welt liefen, legte die Zeitung nach. Sie druckte erneut Mohammed-Karikaturen, zeigte etwa den Anus des Propheten. Das Heft war schon am frühen Morgen ausverkauft, 125.000 Exemplare wurden nachgedruckt.
Der gestern getötete Chefredakteur Stéphane Charbonnier (Künstlername Charb) sagte damals, die Karikaturen seien nicht deftiger als sonst gewesen. „Unsere Absicht ist es nicht, zu provozieren, sondern im Gegenteil auf die Provokation zu antworten“, sagte er damals. Schockiert sei nur, wer schockiert sein will.
Zuletzt legte Charlie Hebdo Anfang 2013 mit einer kompletten „Mohammed-Biografie“ in Comicform nach. Das 63 Seiten lange Sonderheft stieß schon vor Erscheinen auf heftige Kritik, etwa aus dem Iran. Darüber hinaus fielen die Proteste allerdings deutlich geringer aus als in den Jahren zuvor.
In seiner aktuellen Ausgabe hat die Zeitung den französischen Autor Michel Houellebecq auf das Cover gehoben. Der beschäftigt sich in seinem neuesten Roman, „Unterwerfung“, mit dem Szenario einer Islamisierung Frankreichs. Der Roman wurde am Mittwoch, dem Tag des Anschlags, in Frankreich veröffentlicht.
Charlie Hebdo wurde immer wieder vorgeworfen, besonders gegen den Islam satirisch anzukämpfen. Dabei geht sie auch mit christlichen Fanatikern hart ins Gericht, verunglimpfte mehrfach den Papst und zog auch damit Klagen auf sich. In 20 Jahren habe es nur in drei Ausgaben Mohammed-Karikaturen gegeben, sagte Chefredakteur Stéphane Charbonnier Anfang 2013. „Wie oft haben wir den Papst und die katholische Kirche karikiert?“ Es sei Charlie Hebdo nie darum gegangen, alle Muslime zu provozieren, er habe immer nur die Extremisten angegriffen. Charbonnier sowie drei weitere Zeichner der Zeitung wurden bei dem Anschlag am Mittwoch getötet.