: Das Böse erzählen lassen
NS-ELITE Armin Petras inszeniert am Maxim Gorki Theater den Roman „Die Wohlgesinnten“ von Jonathan Littell, der bei Erscheinen für viel Aufregung sorgte. Es geht um die Geschichte eines fiktiven SS-Führers
VON DIRK KNIPPHALS
Als Jonathan Littells Roman „Die Wohlgesinnten“ vor jetzt gut drei Jahren auf Deutsch erschien, hatten viele Zeitungsredaktionen ein Bebilderungsproblem. Man wollte eine Besprechung dieser Geschichte um den schwulen SS-Offizier Maximilian Aue ja nicht unbedingt mit Bildern von posierenden, ihre Ich-Panzerungen als schick behauptenden SS-Männern illustrieren – selbst wenn das der zentralen Herausforderung dieses Romans, sich mitleidend in einen Täter einzufühlen, gutes Spielmaterial gegeben hätte. Und die historischen Aufnahmen von Massenerschießungen in der Ukraine rein zu Illustrationszwecken heranzuziehen, hatte etwas Fragwürdiges.
Dieses Problem stellt sich natürlich in noch viel schärferer Weise, wenn man diesen Roman auf die Bühne bringt. Am Maxim Gorki Theater hat nun Armin Petras dieses, tja, Wagnis?, Vabanquespiel? unternommen. Er hat dazu die konkreten historischen Zeichen im Wesentlichen weggelassen – nur manchmal malen sich die Schauspieler kleine Hakenkreuze ins Gesicht und einmal wird aus einer Holzkonstruktion ein Hakenkreuz geformt. Am Anfang treten die Schauspieler zwar SS-mäßig in Schwarz auf, aber die Uniformen sind stilisiert und schon bald geht es eher um die Weichheit des Körpers darunter – und um den Schlamm, das Blut und die (Theater-)Scheiße, mit denen er im Verlauf des dreistündigen Abends beschmiert wird.
Auch bei der Darstellung der Kriegsgräuel ist das ein Abend der diskussionswürdigen bis interessanten Lösungen. Im Wesentlichen folgt die Bühnenfassung der Struktur des Romans. Das Grauen der Erschießungen wird in eine Art Oratorium übersetzt. Die Schauspieler sprechen in einem Chor, aus dem sich allmählich die Figur des Maximilian Aue herausschält. Die Schrecken werden eher sprachlich evoziert als konkret dargestellt. Und im zweiten Teil – in dem es einerseits um die emotionalen Katastrophen inklusive Inzest und Muttermord geht, andererseits nach der Rückkehr Maximilian Aues von Stalingrad nach Berlin um Bombenkrieg und Untergang – arbeitet Armin Petras mit fließenden szenischen Überblendungen.
So kann man das machen. Eine Frage, die man vorher als Zuschauer hatte, war ja, wie sie dieses 1-000-seitige Romanmonstrum überhaupt auf die Bühne bringen wollen. Aber darin, epische Formate mit wenigen Schauspielern in die Kammerspiel-Situation zu übersetzen, hat man am Gorki inzwischen viel Erfahrung. Armin Petras ist ein findungsreicher Regisseur. Und die Schauspieler um Peter Kurth, Max Simonischek und Christin König sind ebenso unerschrocken wie großartig. Die Probleme fangen bei der Bühnenfassung an. Selbstverständlich muss man viele Motive weglassen – aber sollte man das Schwule Maximilian Aues wirklich so in den Hintergrund drängen? Seine homosexuelle Seite wird zwar benannt, aber nicht gezeigt. Genauso wird seine kulturelle Bildung eher behauptet als dargestellt.
Und in der zweiten Hälfte steht er, wie die anderen Figuren auch, eher als Opfer des alliierten Bombenkriegs da denn als, was vom Roman her auch möglich gewesen wäre, zynischer Schreibtischtäter, der die Waffenproduktion ankurbeln möchte, um doch noch den Krieg zu gewinnen, oder als überzeugter Nazi, der eben nur findet, dass Homosexualität eigentlich viel besser zum Nationalsozialismus passt (Sparta!) als Schwulenfeindlichkeit. Vom Täter Maximilian Aue bleibt in dieser Inszenierung nicht viel. Eher sieht man, dass ihre Taten auch für die Täter menschlich schwierig auszuhalten und zu bearbeiten waren. Ob man das so genau wissen will, war schon beim Lesen des Romans eine große Frage.
Zusammengehalten wird der Theaterabend durch ein Requisit: einen riesigen, kippbaren Spiegel, der vom Boden der Bühne bis zur Decke reicht. Manchmal sieht man in diesem Spiegel sich selbst, das Theaterpublikum. Manchmal, wenn der Spiegel gekippt wird, sieht man das Spiel der Schauspieler in ihm, was Armin Petras mit Licht und Klangeffekten zu intensiven filmischen Bildern verfremden kann. So ein Spiegel ist ein großes, schweres Zeichen. Er behauptet, dass dieser Theaterabend als Selbsterkundung funktionieren soll – was auch eine interessante Wendung ist, nachdem die bohrende Frage „Vater, was hast du im Zweiten Weltkrieg getan?“ nach dem Absterben der Tätergeneration an Brisanz verloren hat. Man versteht als Zuschauer auch diese Geste, aber findet letztlich trotz aller einleuchtenden Theaterlösungen zu wenig Material, in dem man sich selbst erkunden kann.
■ Maxim Gorki Theater, weitere Termine 29. 9., 7., 15., 21. 10., jeweils 19.30 Uhr, sowie am 26. 11. um 18 Uhr