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Archiv-Artikel

Staub wischen und Hintern versohlen

Am Broadway galt Doug Wrights Biodrama über Charlotte von Mahlsdorf als Sensation. Jetzt spielt Dominique Horwitz die berühmteste Kittelschürze Ostberlins im Renaissance-Theater und richtet sich im Pittoresken ein

Berlin im November 1989. Die Mauer war gefallen, die bekannte, fein säuberlich in Gut und Böse geteilte Welt in Auflösung begriffen. Da erhob sich wie eine gute Fee eine sanftmütig-abgründig lächelnde alte Dame in Kittelschürze und Perlenkette aus den Trümmern der zerfallenden Weltbilder jenes Winters, die in einem alten Gutshaus voller Gründerzeitplunder am Rand Berlins residierte, und bei näherem Hinsehen gar keine alte Dame war.

Charlotte von Mahlsdorf war 1928 als Lothar Berfelde geboren worden, wollte aber schon immer lieber Lotte als Lothar sein. Den Vater, der sie zum Hitlerjungen drillen will, erschlägt sie mit dem Nudelholz. Sagt sie jedenfalls. In den Kriegswirren verschwindet erst Lotte aus dem Gefängnis, später auch die Akten, weshalb der Kriminalfall nirgends aktenkundig ist. Im Gegensatz zu Charlottes Stasi-Aktivitäten, deren Bekanntwerden 1997 zur Auswanderung des berühmten DDR-Transvestiten nach Schweden und 2002 vielleicht auch zu seinem plötzlichen Tod führte.

Als Mutter Berfelde den Sohn irgendwann fragt, ob er nicht langsam zu heiraten gedenke, pariert der knapp: „Ich bin meine eigene Frau!“ Unter diesem Titel entstand 1991 ein Film von Rosa von Praunheim, im Jahr darauf eine Biografie, die ein junger Mann namens Peter Süß herausgegeben hatte. Und weil der Titel so schlicht wie ergreifend war, nannte ein paar Jahre später auch noch der amerikanische Autor Doug Wright sein Charlotte-von-Mahlsdorf-Stück so.

Das Ein-Personen-Stück „I am my own wife“ wurde 2003 zum Broadway-Sensationserfolg, gewann einen Pulitzer-Preis und einen Tony Award. Am Renaissance-Theater fand am Sonntag die deutschsprachige Erstaufführung statt, allerdings mit dem Titel „Ich mach ja doch, was ich will“, weil der Memoiren-Editor Peter Süß Urheberrechte an der abgelauschten Sentenz geltend machen konnte. In der Titelrolle liefert Dominique Horwitz eine umjubelte Solo-Vorstellung, spielt nebenbei auch noch knapp dreißig kleinere Figuren, die Charlottes Lebensweg kreuzen und illustrieren – darunter auch den Autor selbst, dem Horwitz einen etwas albernen amerikanischen Akzent verpasst.

Man guckt also zu, lacht manchmal, gähnt immer wieder ein bisschen und staunt angesichts des Zuschauerglücks ringsum, was um Himmels willen die Leute bloß an dieser spießig-schillernden Geschichte finden: an einem Mann in Kittelschürze, der seine Erfüllung im Dienstmädchen-Dasein, in so wilhelminischen Untertanen-Aktivitäten wie Staubwischen und Hinternversohlen findet. Der den totalitären Regimen des letzten Jahrhunderts einerseits durch manisches Möbelsammeln und Schaffung einer musealen Gegenwelt beizukommen versuchte, andererseits aber auch als IM gemeinsame Sache mit ihnen machte und wohl schon in der Nazizeit auch Möbel von Deportierten übernahm.

All das erzählt Wright eher nebenbei. Widersprüche werden von seiner Faszination für Stoff und Figur, die das Stück miterzählt, überblendet. Nur manchmal durchfährt Stoff und Stück ein böses Funkeln.

Die Berliner Inszenierung von Torsten Fischer fragt auch nicht weiter nach, sondern bleibt brav auf dem Boulevard. In Teil eins baut Bühnenbildner Vasilis Triantafillopoulos flairgetreu das Cover der Charlotte-Memoiren nach, Flügeltür mit Mahlsdorf und Plüschsofa mit Grammofon inklusive. In Teil zwei sind die Möbel dann mit weißen Tüchern abgedeckt, denn bald wird schon ausgewandert. Vorläufig krümmt sich Dominique Horwitz noch halbnackt am Boden und spielt den schwulen Antiquitätenhändler Alfred Kirschner, den Charlottes Stasi-Tätigkeit ins Gefängnis brachte. Oder auch nicht. Denn hier bleibt das Stück so unklar wie Charlottes Lächeln, das Dominique Horwitz immer wieder so schön anknipst.

Man kann ihn dafür loben, dass seine Charlotte niemals ins „Charleys Tante“-Hafte kippt und eine durch und durch seriöse Theaterfigur ist. Aber sie richtet sich zu sehr im Pittoresken ein, statt Charlotte von Mahlsdorf und der Faszination für sie mal unter die Schürze zu gucken.

ESTHER SLEVOGT

Renaissance-Theater, täglich bis 10. Dezember, 20 Uhr