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Archiv-Artikel

Er will doch nur helfen

ORTSTERMIN Wegen Roger Kuschs Verein sollen Gesetze gegen Sterbehilfe verschärft werden. Davon lässt er sich nicht abhalten. Notfalls will er Verfassungsklage einreichen

Der Anzug anthrazitfarben, die Hände hält der Ex-Christdemokrat häufig wie zum Gebet gefaltet

AUS BERLIN HEIKE HAARHOFF

Wenn Roger Kusch die Auffassung teilen sollte, dass es 2015 eng werden könnte, für seinen Verein Sterbehilfe Deutschland einerseits wie für ihn persönlich als dessen Vorstandsvorsitzender andererseits, dann lässt er sich das jedenfalls nicht anmerken. Aufgeräumt sitzt der ehemalige Hamburger Justizsenator, 2006 aus dem Amt geworfen, am Mittwoch bei einem Glas Wasser im Tagungszentrum im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin. Die einst dunklen Haare sind fast weiß, der Dreitagebart ist gepflegt, der Anzug anthrazitfarben, die Hände hält der Ex-Christdemokrat häufig wie zum Gebet gefaltet. Dann lächelt Kusch zu den bald 50 Journalisten, die er hierher versammelt hat, und gibt bekannt: „Wir schätzen die politische Lage auch so ein, dass der Bundestag im Herbst 2015 ein Gesetz beschließen wird, das unsere Arbeit erschwert.“

Die Arbeit erschwert. So kann man das auch sehen.

Kusch und sein Sterbehilfeverein, derzeit der einzige seiner Art in Deutschland, haben die seit Monaten tobende Debatte um ein Verbot der organisierten Beihilfe zum Suizid in Deutschland überhaupt erst ausgelöst. Kusch und sein Verein sind die Provokation, weshalb sich Politiker quer durch alle Fraktionen derzeit darüber streiten, ob es künftig in Deutschland strafbar sein soll, Menschen, die sterben wollen, bei ihrer Selbsttötung zu helfen, etwa in dem man ihnen ein tödliches Mittel überlässt. Derzeit ist diese Beihilfe straffrei, wie auch der Suizid selbst.

Kuschs Verein aber hilft Menschen in offensichtlich schwerer persönlicher Notlage bei der Selbsttötung nur gegen Geld; die Mitgliedsbeiträge liegen zwischen 50 und 7.000 Euro im Jahr, und das wiederum finden viele Politiker unethisch. Die Hamburger Staatsanwaltschaft dagegen findet noch viel mehr, sie hat im Mai Anklage erhoben gegen Kusch und einen seiner Mitstreiter, den Arzt Johann Spittler: Wegen der Suizidassistenz an zwei Frauen wirft sie ihnen Totschlag vor. Das Landgericht Hamburg will in diesem Jahr darüber entscheiden, ob es das Hauptverfahren eröffnet.

Und Kusch? Entspannt sagt der 60-Jährige in Berlin: „Wir kassieren für keine Dienstleistung Geld.“ Und dann, selbstbewusst: „Wir arbeiten völlig unverändert weiter.“ Daran habe auch die Anklage nichts geändert. Im Gegenteil: Sollte der Bundestag tatsächlich jede organisierte Form der Sterbehilfe, also konkret: seinen Sterbehilfeverein verbieten wollen, dann, droht Kusch, werde er zurückschlagen: mit einer Verfassungsklage. „Wenn auch nur die Aussicht von Erfolg besteht, machen wir das, natürlich“, versichert er.

Vorsichtshalber allerdings halte er, Kusch, jedoch bereits einen weiteren „Schutzschild gegen politische Entwicklungen“ bereit: Vor zweieinhalb Jahren habe der Verein eine Dependance in der Schweiz gegründet. Es sei nicht das Ziel, den Sterbetourismus in die Schweiz zu fördern. Der Verein wolle Menschen in Deutschland „helfen“.

Und dass es hierfür ein steigendes Bedürfnis gebe, das liest Kusch an seiner eigenen Vereinsstatistik ab, aufgeschrieben im Jahresbericht des Vereins mit dem klebrigen Titel „Ausklang“: 613 Mitglieder hat Sterbehilfe Deutschland danach derzeit, allein im vergangenen Jahr seien 283 Menschen neu aufgenommen worden, 126 seien ausgeschieden, die meisten aufgrund, nun ja, Suizids oder natürlichen Todes. 44 Mitgliedern habe man beim Suizid geholfen. Und zwar nicht irgendwie – alle Suizide seien ärztlich assistiert gewesen, beteuert Kusch. Nur wer und wie viele diese Ärzte sind, die mit dem Verein angeblich kooperieren, darüber mag Kusch am Mittwoch in Berlin keine Angaben machen: „Wir sagen den Ärzten verbindlich zu, dass wir ihre Privatheit und ihren Namen schützen.“ Und davon, betont er, werde ihn auch kein wie auch immer geartetes Gesetz abbringen.