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Archiv-Artikel

Eine Insel wird verscherbelt

AKTIVIST Andri Snaer Magnasons „Traumland“ ist eine Ökokampfschrift und Polemik zugleich. „Die Politiker nahmen einige der schönsten Gegenden Islands und boten sie rücksichtslosen Konzernen an“, kritisiert der Schriftsteller seine Heimat – zu Recht

Als „Al Gore Islands“ wird er bezeichnet und als der „isländische Michael Moore“. Es passt ihm beides nicht. Dann doch lieber Mutter Teresa oder Mahatma Gandhi, scherzt er

VON DANIELA ZINSER

„Island ist ein Labor, in dem die Utopie des einen die Dystopie des anderen ist. Island ist nicht nur ein Naturparadies, sondern auch ein Ort, an dem sich Ideen bekriegen. Ein General erträumt sich Island als gigantische Drehscheibe für den kalten Krieg, während andere die Insel als Hort des Friedens sehen. Ein Ingenieur hat die Vision, Island in ein Paradies der Schwerindustrie zu verwandeln, während andere das Naturparadies erhalten wollen.“

(Alle kursivierten Textabschnitte sind Auszüge aus: „Traumland“.)

Andri Snaer Magnason ist Schriftsteller und Umweltaktivist. Als „Al Gore Islands“ wurde er bezeichnet und als der „isländische Michael Moore“. Es passt ihm beides nicht. Dann doch lieber Mutter Teresa oder Mahatma Gandhi, scherzt er. Zuschreibungen mag der 38-Jährige nicht. Er ist einer, der die Phrasen meidet, der hinter die Dinge blicken will, der früh merkt, wenn etwas schiefläuft und der dann handelt. Im Jahr 2006 protestierte er auf den fast 300 Seiten seines Buchs „Traumland. Was bleibt, wenn alles verkauft ist?“ gegen den Bau des Kárahnjúkar-Staudamms im Osten der Insel. Pünktlich zur demnächst beginnenden Frankfurter Buchmesse ist es nun auch auf Deutsch erschienen.

Gletscherflüsse und Wasserfälle wurden für den Riesenstaudamm trockengelegt, ein großer Teil des Hochlands geflutet, mehr als 57 Quadratkilometer unberührte Natur und die weltweit einzigartigen Brutstätten der Kurzschnabelgans für immer zerstört. Und das alles für nur eine Firma: Alcoa – die Aluminium Company of America, die dort produzieren wollte und dafür so viel Energie benötigte wie eine Stadt von einer Million Einwohnern. Die energiehungrige Aluminiumindustrie hatte Island als Eldorado der günstigen, erneuerbaren Energien entdeckt – und sie wurde mit offenen Armen empfangen.

„Für einen Politiker ist es sehr verführerisch einen solchen Deal zu unterzeichnen. Anfangs ist es eine enorme Infrastrukturaufgabe, und das schafft viele Arbeitsplätze in kurzer Zeit. Da macht es richtig Spaß, Politiker zu sein. Aber danach sinken die Jobs von 5.000 auf vielleicht 400, die tatsächlich in der Firma arbeiten. Da beginnt der Teufelskreis, dass man es wieder und wieder tun muss. Die Politiker nahmen einige der schönsten Gegenden Islands und boten sie Unternehmen an, die den Ruf haben, die rücksichtslosen Konzerne der Welt zu sein. Es ist, als hätte das Paradies versucht, mit der Hölle zu fusionieren“, sagt Andri Snaer Magnason.

Zwei weitere Aluminiumhütten wurden geplant, eine im Norden, eine im Süden Islands. Dabei hatte rein statistisch jeder der gut 300.000 Isländer aus dem Bau des Kárahnjúkar-Staudamms, der nun eines der größten Wasserwerke Europas speist, bereits Schulden in Höhe von 20.000 Euro. Als er das Buch schrieb, hatte Andri Snaer Magnason noch die Hoffnung, das Projekt stoppen zu können. Heute kämpft er dafür, dass es nicht noch einmal so weit kommt. Er hält Vorträge, verarbeitete die Geschichte von „Traumland“ 2009 auch in einem Dokumentarfilm.

Das Buch war mit gut 20.000 verkauften Exemplaren ein Bestseller in Island. „Früher wollte ich gerne was in die Luft jagen, heute nehmen ich Pillen dagegen“, sagt der Autor, gerade als im Café in Berlin ein Ausflugsdampfer mit dem Namen „Heiterkeit“ vorbeifährt. Die Arznei des Schriftstellers, der aus einer Familie voller Ärzte und Krankenschwestern kommt, ist das Schreiben. „Traumland“ ist eine Mischung aus Parabel, Polemik. Protestschrift, voll von klugen Analysen, Witz, Wirtschaftswissen, Philosophie, Geschichten und Geschichte. Die reicht manchmal bis ins alte Ägypten.

„Meine Theorie ist, dass du nicht nur eine Pyramide bauen kannst. Die Ingenieure, die Zulieferer, die Lohnsklaven wollen weitermachen, sogar wenn der Pharao mit starkem Willen es nicht will. Die Leute werden ihn überwältigen.“

Andri Snaer Magnason war da der „Partypupser“, wie er sagt. Der Spielverderber. Aber wie könne man so viel Natur aufgeben für Aluminium, das in den USA etwa zum Wegwerfprodukt Dose wird? „Was ist das für eine Realität, in der du deinen Lebensunterhalt und deine Wirtschaft auf das vordringliche Bedürfnis von jemandem gründest, Cola zu trinken aus einer Dose, die du wegwirfst, die aber Natur zerstört?“, fragt der Autor.

Sein Buch trägt im isländischen Original den Untertitel „Selbsthilfebuch für eine eingeschüchterte Nation“. Island, ein Volk, das noch immer kämpft mit dem Minderwertigkeitskomplex, so lange Bauern und Fischer unter der Herrschaft der dänischen Krone gewesen zu sein. Eine Nation, für die „Schwerindustrie“ zur Metapher für alles Gute und Reiche wurde und deren Sprache immer mehr aus Phrasen bestand, die keiner mehr so recht verstand.

„In Island versprachen die Politiker, 30 Terrawattstunden Energie auf umweltschonendem Wege bereitstellen zu können. Da denken alle gleich, oh, das ist wissenschaftlich, rational und wahrscheinlich wahr. Dabei wollten sie alle Flüsse in Island an diese Schwerindustriefirmen verkaufen und uns total abhängig von ihnen machen. Aber das wurde als grüne Energie präsentiert, als eine vernünftige Entscheidung für wirtschaftliches Wachstum. Wachstum ist wie Fleißbildchen für Politiker. Fünf Prozent Wachstum, fünf Fleißbildchen. Mit Smiley drauf. Sie machen also einen guten Job. Unsere Politiker bekamen ständig Fleißbildchen. Von der OECD, von all den internationalen Organisationen, von den Rating-Agenturen.“

Bis zum Zusammenbruch der Banken und dem knapp entgangenen Staatsbankrott 2008 lief das so. Danach wurde Island schlagartig umweltfreundlicher, die Menschen mussten sparen. Die Abfallmengen sanken um die Hälfte, der Autoverkehr nahm um 20 Prozent ab. Und für neue Energieprojekte fehlte erst mal das Geld. Die neue Regierung aus Sozialdemokraten und Linksgrünen ist aufgeschlossener für Umweltfragen.

Doch den Isländern ginge der Wandel zu langsam. „Es gibt immer noch dieselben Leute in Machtpositionen, die sagen, beruhigt euch, wir ändern uns. Aber wenn du die Leute nicht änderst, ändert sich nichts.“ Es gibt einige Fortschritte, Gegenden, die nun unter Naturschutz stehen. Aber die Energiemaschine sei sehr hungrig und sehr mächtig. Die Message des Buchs, aus dem sich so vieles auch für andere Länder ableiten lässt, sei deshalb: „Es gibt keine Hoffnung.“ Andri Snaer lacht, als er das sagt. „Wir waren ein kleines, schönes Land, aber wir haben es versaut.“

„Ich war im Februar in China, und das Erste, was ich auf der Straße sah, war das böse Omen von Island: ein schwarzer Range Rover. Das ist wie eine schwarze Katze. Das heißt, du hast eine schlechte Zukunft. Dann sah ich diese endlosen Appartmentblöcke, wie sie auch bei uns gebaut wurden als Geldanlage, nur zehntausendmal größer. Es war, als würde ich in der isländischen Immobilienblase stehen, meine Hacken freudig zusammenschlagen und sagen: There is no place like home. Ich habe gelesen, sie haben 60 Millionen leere Appartements. Das wird ein riesiger Crash.“

Gerade wird eine neue Verfassung nach dem Open-Source-Prinzip im Internet erarbeitet. Kunststudenten denken sich auf Höfen mit den Bauern zusammen neue Ideen für die Landwirtschaft aus, kluge Köpfe wie Noam Chomsky kommen mit ihren Visionen nach Island. Die Umweltbewegung sei in Island immer auch eine der Musiker, der Kreativindustrie, der kleinen Hightechunternehmen gewesen, sagt Andri Snaer. Und da tue sich etwas – ein Denken weg von der Schwerindustrie hin zu kreativen Ansätzen, die es früher schwer hatten.

„In der Schwerindustrie kannst du gut kalkulieren, Arbeitsplätze und Geld versprechen. In anderen Wirtschaftszweigen funktioniert das so nicht. Ich kann nicht sagen, es kommen mehr Touristen, die Computerindustrie wird sich so und so entwickeln, mein Buch wird ein Bestseller. Du kannst nichts versprechen. Gegen dieses Nichts gab es diesen großen Plan, das war Realität, alles andere eine Luftnummer. Aber in dieser vermeintlich unsicheren, kreativen Gesellschaft zu leben ist Sicherheit. Denn du bist verletzlicher, wenn du steckenbleibst in einer riesigen, unflexiblen Monokultur mit großen Unternehmen, da ist der Fall ungleich höher, wenn die mal abwandern.“

Andri Snaer Magnason, Vater von vier Kindern, macht das Kreativsein vor. Sein Kinderbuch „Der blaue Planet“ wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt, seinen Lyrikband verkaufte er bei „Bonus“, der isländischen Version von Aldi, ganz im Design des Billigmarktes. Sein deutscher Verlag Orange Press arbeitet gerade an der Übersetzung.

Und der Autor, der im vergangenen Jahr den hochdotierten Kairos-Preis der Alfred Töpfer Stiftung bekam, arbeitet schon am nächsten Buch, einem Märchen über die Zeit und die Notwendigkeit von schlechten Tagen. Für einen neuen Film über das Schmelzen der Gletscher hat Andri Snaer gerade den Dalai Lama interviewt. In diesen Zeiten brauchen die Menschen Bücher, sagt der Autor. Es ist seine Art des Protests.

„Traumland ist eine Reise auf eine imaginäre Insel – ich hoffe, ihr werdet entdecken, dass auch ihr dort lebt.“

■ Andri Snaer Magnason: „Traumland. Was bleibt, wenn alles verkauft ist“. Orange Press 2011, 288 Seiten, 20 Euro