: Grazie, niente
DAS VERGESSENE REZEPT Antonio wurde sein Leben lang hervorragend bekocht. Jetzt ist seine Frau tot und der toskanische Hofherr isst die Nudeln nackt. Dabei ist eine gute Tomatensauce so einfach
■ 500 Gramm reife Tomaten in Würfel geschnitten (oder geschälte Tomaten aus der Dose)
■ 1 kleine Karotte
■ eine halbe Zwiebel
■ 1 Knoblauchzehe
■ 1 Selleriestange (15 cm)
■ Salz, Pfeffer, Zucker, Olivenöl
Gemüse kleinschneiden und ohne Tomaten in Olivenöl anbraten. Kurz darauf die Tomaten zugeben und mit Pfeffer, Salz und etwas Zucker würzen (ich gebe noch einen Teelöffel Würzl-Gemüsebrühe dazu). 30 bis 45 Minuten leise köcheln und immer wieder rühren. Die Sauce durch ein Sieb drücken und mit geriebenem Pecorino (Parmesan geht auch) servieren.
Wem selbst das zu kompliziert ist, der kann sich die Pomarola auch direkt bei der Fattoria La Vialla (www.lavialla.it) bestellen.
VON PHILIPP MAUSSHARDT
Antonio ist 92 Jahre alt und das, was man auf Italienisch einen testardo nennt – einen Dickschädel. Er ist mein Nachbar in Italien, das heißt, der mir am nächsten wohnende Mensch: 1,5 Kilometer sind unsere Häuser entfernt, durch einen Wald und zwei Bäche voneinander getrennt. Antonio wohnt allein auf seinem Hof, einem großen ehemaligen Gutshof in der Toskana. Seine Frau starb vor eineinhalb Jahren. In dem etwas angejahrten Herrenhaus wird im Winter nur noch die Küche geheizt – von einem Holzofen, die restlichen Zimmer bleiben kalt. Zu einem seiner fünf Kinder ins Dorf ziehen? Niemals! Auf seinem Hof ist er der Chef, der capo, und das bleibt er, bis er tot umfällt, aber das wird noch dauern.
Kurz nach Silvester habe ich Antonio wieder einmal besucht. Ich gehe manchmal bei ihm vorbei und frage, ob ich etwas mitbringen soll aus dem Dorf. Aber er braucht nie etwas, „grazie, niente“, sagte er, nichts brauche er, er habe alles. Antonio war gerade dabei, sich sein Mittagessen zu kochen. Er hatte eine Barilla-Schachtel mit Penne auf dem Küchentisch stehen, ging in die Kammer und holte eine landwirtschaftliche Waage aus Eisen, wie sie auf alten Fotos von Marktfrauen manchmal noch zu sehen ist. Man hält sie in einer Hand und stellt mit der anderen das Gewicht ein. Antonio maß genau 150 Gramm Barilla-Nudeln ab, dann schaute er auf den Fernseher, der bei ihm immer läuft, und wartete geduldig, bis die digitale Fernsehuhr genau 00 Sekunden anzeigte. In diesem Moment warf er die 150 Gramm Nudeln in das auf dem Herd kochende Wasser und sagte: „Jetzt muss ich exakt elf Minuten warten. So steht es auf der Barilla-Packung.“
Antonio, der stolze toskanische Hofherr, hatte mit 91 Jahren noch kochen gelernt. Welche Sauce er dazu mache, fragte ich. „Welche Sauce?“, fragte er zurück. Ich begriff erst langsam: Antonio kann zwar Nudeln nach der Angabe auf der Packung kochen, aber keine Sauce. Er isst jeden Tag nackte Nudeln, nur mit etwas Parmesan-Käse bestreut. Seine Frau war eine hervorragende Köchin, und wenn er seine leeren Nudeln isst, erinnert er sich dabei, wie es früher war.
Beim nächsten Mal brachte ich ihm halb aus Mitleid halb aus Freundschaft ein Glas mit einer Fertigsauce der Fattoria La Vialla mit. „Pomarola“ stand auf dem Etikett, ein unter italienischen Pastafreunden sehr klangvoller Name. Die Sauce gibt es nur selten in Restaurants, dabei gilt sie als die Königin unter allen Tomatensaucen.
„Pomarola, pomarola“, wiederholte Antonio, es schien ihn an etwas zu erinnern. „Du musst nur den Deckel aufschrauben und den Inhalt in einem Topf erhitzen“, sagte ich ihm und machte es vor. Wir saßen am Küchentisch, und während wir die Nudeln mit Pomarola-Sauce gabelten, erklärte mir Antonio, warum Italien den Bach hinuntergeht. Es hat etwas damit zu tun, dass in Süditalien nur Diebe wohnen und die Politiker in Rom große Hosentaschen besitzen, in denen sie das Geld ihrer Bürger nach Hause tragen.
Nach Antonios Meinung ist Italien nicht mehr zu retten. Der staatliche Stromkonzern Enel ist nahezu bankrott, Alitalia gehört jetzt den Arabern und Fiat verlege demnächst seinen Firmensitz in die USA. Alles „un casino, un bordello“, es mache keinen Spaß mehr, Italiener zu sein. Dabei griff Antonio ein zweites Mal in den Saucentopf.
„Come una volta“ schmecke diese Sauce, bemerkte er beiläufig, so gut wie damals, als seine Frau Anna noch lebte. Solche Saucen könne niemand auf der Welt besser machen als die Italiener. Und je mehr er aß, desto fröhlicher wurde er. „Ihr Deutschen seid ein komisches Volk. Mit eurem Brot kann man Häuser bauen.“ Ich hatte den Fehler gemacht, ihm einmal ein Vollkornbrot aus Deutschland als Geschenk mitzubringen. „Ihr esst Ziegelsteine“, fuhr Antonio fort, „und warum kommt ihr so gerne nach Italien? Weil es hier gutes Essen und guten Wein gibt!“
Im Fernsehen gab die Nachrichtensprecherin gerade den neuen Rekord an Arbeitslosen in Italien bekannt. Antonio hörte nicht hin. „Die Pomarola ist wirklich hervorragend.“
■ Die Essecke: Philipp Maußhardt schreibt hier jeden Monat über vergessene Rezepte. Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte, Jörn Kabisch spricht mit Praktikern der Küche, und unsere Korrespondenten berichten, was in anderen Ländern gegessen wird