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Archiv-Artikel

Der Maulwurf, das Eisen und die Millionen

Ein Prozessauftakt und kein Ende in Sicht: Amtsgericht verhandelt Abfallbetrug an den Stahlwerken Bremen

Nach der Mittagspause kommt es zum Eklat. Ein Zuhörer in Saal 351 des Bremer Amtsgerichts entpuppt sich als Justiziar des vermeintlich Betrogenen, in diesem Falle: der Stahlwerke Bremen. Prompt muss er den Saal verlassen. Weniger, weil er ein „Spion“ ist, wie die Verteidigung behauptet. Sondern weil er noch Zeuge sein könnte. Eigentlich eine klare Sache, rein rechtlich betrachtet. Den Saal verlässt der Jurist indes nur unter schärfstem Protest, und nicht ohne über die „perfiden Strategie“ der Verteidigung zu schimpfen. Ein „Skandal“ sei es doch, ruft er aus, ausgerechnet das Opfer aus dem Prozess „auszuschließen“. Amtsrichter Hans Ahlers – für gewöhnlich ein besonnener Mann – droht mit dem Wachschutz.

In dem Prozess geht es um rund zwei Millionen Euro. „Wir reden hier also nicht um Peanuts“, wie Staatsanwalt Sebastian Berger sagt. Fast vier Jahre lang sollen die beiden Angeklagten den Stahlwerken gezielt minderwertige Ware geliefert haben, teuren, dafür wertlosen Abfall – um sich daran zu bereichern.

Unverwandt starrt Günter S. ins Leere. Lange Zahlenkolonnen ziehen an dem 78-jährigen Angeklagten vorüber, es geht um monatliche Schadenssummen, um den Eisengehalt recycelter Reststoffe, um den Koksverbrauch am Hochofen. Fast eine Stunde lang verliest Staatsanwalt die Anklageschrift. Der alte Herr mit den schlohweißen Haaren, einstmals Chef einer inzwischen untergegangenen Firma, ist erst vor wenigen Tagen Witwer geworden, nach 50 Jahren Ehe. Und schon auf die Frage nach seinem Wohnort weiß er keine rechte Antwort. „Ich weiß im Moment nicht, wo ich hin soll.“ Und der Prozess gegen ihn könnte sich „problemlos“ auch über mehrere Jahre hinziehen, sagt Verteidiger Dieter Mischke.

Zugleich ist die Sache, um die es hier geht, „arg lang her“, wie Ahlers sagt, beinahe hätte er die Anklage gar nicht zugelassen. Weniger weil sie schon verjährt sein könnte – auch wenn es um Vorfälle geht, die zum Teil noch aus den Neunzigern stammen. Sondern weil am Ende einer länglichen Gerichtsverhandlung ein Freispruch als wahrscheinlich erscheint. Sogar in der Anklageschrift, sagt der Richter, „gibt es Anhaltspunkte dafür, dass es gar kein Betrug war“.

Die Staatsanwaltschaft sieht das freilich anders, spricht von „beträchtlichen Tatvorwürfen“, davon, dass es für S. und seinen ehemaligen Betriebsleiter F. „am Ende teuer werden könnte.“ Im Falle einer Verurteilung droht eine mehrjährige Haft- oder drastische Geldstrafe. Und teuer ist es für die Angeklagten schon einmal geworden: Die Stahlwerke Bremen bekamen vor zwei Jahren 2,5 Millionen Euro Schadensersatz zugesprochen. Im Gegenzug dafür haben sie die Anlagen der Firma des S. einbehalten.

Dass die seinerzeit gelieferte Ware – ein Gemisch verschiedener Materialien – weniger Eisen enthielt als 1975 vertraglich vereinbart, darüber herrscht Einigkeit. Doch das allein ist noch kein Betrug. Die Frage ist: Was wussten die Stahlwerke? Nichts hätten sie auch nur geahnt, haben sie im Zivilverfahren vorgetragen. „Es spricht einiges dafür, dass sie genauere Analysen hatten“, sagt der Richter. Sie wussten die ganze Zeit Bescheid, sagt die Verteidigung, und verweist auf das technische Labor der Stahlwerke, das alle am Hochofen angelieferten Chargen regelmäßig kontrolliert und chemischen Analysen unterzogen habe. Die Eisenwerte seien also durchaus bekannt gewesen. Ja, die Stahlwerke seien sogar darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass höhere Eisenwerte gar nicht zu erzielen gewesen seien.

Das alles muss jetzt eine umfängliche Beweisaufnahme klären. An einem langem Prozess sei natürlich keinem gelegen, sagt Ahlers. Der Staatsanwalt könnte sich eine Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit vorstellen – wenn S. und F. ihre Schuld anerkennen und „eine sechstellige Summe“ zahlen. Das Angebot bleibt aus. Jan Zier