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Archiv-Artikel

Eine Fußnote kehrt zurück

Gut 20 Jahre nach ihrer letzten Platte melden sich Die Zimmermänner aus Hamburg mit „Fortpflanzungssupermarkt“ zurück. Inzwischen haben sie richtige Jobs, doch noch immer machen sie Musik für Menschen, die ihr Gehirn nicht ausschalten wollen

Es gibt drei gute Gründe für ein Comeback. Entweder die Band hat einfach nur vergessen, warum man sich damals trennte. Oder sie will noch ein letztes Mal Kasse machen. Oder die Band ist immer noch bei ihren Fans unvergessen. So gesehen ist das Comeback der Zimmermänner gar kein Comeback, denn erstens hat man sich niemals wirklich getrennt, zweitens ist man längst in gut situierten Berufen angekommen, und drittens war man doch eigentlich, findet Detlef Diederichsen, „nur eine Fußnote, ein Randphänomen“.

Diederichsen müsste es eigentlich wissen. Er ist nicht nicht nur eine Hälfte der Zimmermänner, die in diesem Frühjahr nach einer gut zwei Jahrzehnte währenden Veröffentlichungspause ihr neues Album „Fortpflanzungssupermarkt“ heraus gebracht haben, sondern auch sonst als Fachmann qualifiziert: Diedrich hat als Musikjournalist gearbeitet, betreibt ein Label und ist seit einem Jahr Bereichsleiter für Musik, Tanz und Theater im Berliner Haus der Kulturen der Welt.

Als solcher reist er durch die weite Welt von Texas bis Israel. Auf „Fortpflanzungssupermarkt“ allerdings wird eher das Spektrum zwischen Paderborn und Bad Ems vermessen. Ersterer ist ein ganzer Song gewidmet, ein Denkmal für die deutsche Provinz. Für die zweite wird ein letzter Tango getanzt, aber „die Helden werden müde“. Die beiden Songs stammen aus der Feder von Diederichsens Partner Timo Blunck, der als Film- und Werbemusik-Produzent arbeitet. Im Portfolio seiner Firma finden sich Filme von Christian Petzold und Werbeclips für Ikea oder die Commerzbank.

Blunck und Diederichsen gründeten Die Zimmermänner 1979 auf dem Hof der Gelehrtenschule des Johanneums, dem humanistischen Gymnasium in Hamburg. Acht Jahre und drei Alben später, die Neue Deutsche Welle schien als musikevolutionäre Sackgasse entlarvt, wurde die Band zum Hobby degradiert und wird seitdem durch alljährliche Weihnachts-Konzerte nur mehr notdürftig am Leben erhalten. Nicht mal Einladungen zu den beliebten Retro-Shows im Fernsehen hat man erhalten, bedauert Diederichsen: „Wir würden ja hingehen, aber wir sind denen wohl zu seltsam“.

All die Jahre hat man sich immer mal wieder im Studio getroffen, Ideen gesammelt, Demos aufgenommen – insgesamt, schätzt Diederichsen, wohl fast einhundert Songs. Doch eine neue Platte zu machen, kam den beiden lange nicht in den Sinn. Erst bei der Arbeit an einer Box, in der das Gesamtwerk versammelt werden soll, stellten Blunck und Diederichsen fest, dass es noch Interesse an den Zimmermännern gibt.

Also haben die beiden die Gelegenheit genutzt, mit Hilfe des „riesigen Arsenals an Aufnahmemöglichkeiten, das es heute gibt“, endlich die Musik zu machen, die ihnen schon immer vorschwebte, aber dereinst am eigenen mangelhaften Handwerk scheiterte. „Früher war alles so mühsam“, stöhnt Diederichsen. Entstanden ist ein Parforceritt durch Stile und Genres, der seinesgleichen sucht: Ein fast schon stumpfer Dancetrack wie „Gute Nachtfreunde“ folgt direkt auf das atmosphärisch verhallte, mit gestopftem Saxophon veredelte „Tiefs“, das textlich programmatische „Warum schmust Du nie mit meinem Gehirn?“ kommt locker daher als Swing-Nummer und „Regenschirm im Regen“ ist ein depressiver Blues, der fast stehen zu bleiben droht. Nur Rockklischees tauchen dagegen wie gewohnt bestenfalls als gebrochenes Zitat auf.

Textlich ist Diederichsen, der als Einflüsse Benn und Brecht nennt, zuständig fürs tiefer Gründelnde. Er träumt vom „Nirwana“ („Du willst dass die Blödmänner anfangen zu schweigen, dass pure Vernunft endlich siegt“) und ist derjenige, der fragt, warum die Liebste nicht mit seinem Gehirn schmusen will. Blunck, der zu NdW-Zeiten auch bei Palais Schaumburg spielte, dagegen schreibt der Schauspielerin Christiane Paul eine sehr ernst gemeinte Hymne und weiß selbst: „Berufsjugendlich war ich wohl bis gestern“.

Pop darf alles, darauf pochen Die Zimmermänner, ob naiv oder intellektuell, verspielt oder ernst, schlau oder bescheuert. Das Ergebnis ist Musik für Menschen, die nicht automatisch ihr Gehirn ausschalten beim Musikhören. Was „Fortpflanzungssupermarkt“ auch im Hier und Heute zu einer ziemlich einzigartigen Platte macht. „So etwas wie ‚Die Zimmermänner‘ gibt es nicht noch mal“, sagt Diederichsen. Er muss es ja wissen.

THOMAS WINKLER

Die Zimmermänner spielen auf dem Hamburger Reeperbahn-Festival am heutigen Samstag um 23:45 Uhr im Knust