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Archiv-Artikel

die taz vor neun jahren über den grünen klassiker

Welcher Teufel hatte die Verhandlungskommission der Grünen geritten, als sie verlauten ließ, sie werde für Joschka Fischer das Amt des Außenministers beanspruchen? Damit hat die Kommission gegen das Gebot politischer Klugheit verstoßen: Sie fordert Posten vor der Klärung des Regierungsprogramms, und sie sucht sich ein Ministerium heraus, in das die Grünen ihre reformerische Stärke kaum einbringen können.

Damit ist nicht das geringste gegen Joschka Fischers Eignung für diesen Job gesagt. Fischer hat klare Konzepte – hinsichtlich der Vertiefung der europäischen Integration, der Osterweiterung der EU, der Stärkung von OSZE und UNO, einer Orientierung der Außenpolitik auf die Menschenrechte, last but not least hinsichtlich der Möglichkeiten und Grenzen von humanitären militärischen Einsätzen. Er weiß um die Notwendigkeit eines neuen, umfassenden Begriffs von Sicherheit. Und er kann sich durchsetzen. Es gibt nur zwei Probleme. Was ihm klar ist, ist seiner Partei noch lange nicht klar. Und für das, was ihm klar ist, hätte er kaum Aktionsmöglichkeiten.

Seit Schröder noch vor Beginn des Verhandlungsmarathons außenpolitische Kontinuität zu einem der drei Pfeiler seiner Regierungstätigkeit gemacht hat, ist die Entscheidung gefallen: Die Europapolitik wird über das Kanzleramt laufen. Fragen der Abrüstung, der friedlichen Konfliktvorbeugung – ein mögliches Terrain originärer grüner Initiative – werden ebenfalls im Kanzleramt oder im Verteidigungsministerium angesiedelt. Will Fischer Schröders Kinkel werden?

Viel wichtiger aber ist, daß die Grünen ihre Verhandlungsenergien dort bündeln müssen, wo ihre Stärken sind: Ausstieg aus der Atomenergie, ökologische Steuerreform, doppelte Staatsbürgerschaft. Einen SPD-Politiker in NRW, der immer ein „klassisches“ Ministerium wollte und nie eins bekam, nannten seine Kollegen ironisch „den Klassiker“. Das hat Joschka Fischer nicht verdient.

Christian Semler, 1. 10. 1998