: Unterschätzt nicht den Fernsehturm!
Das Trio Jahcoozi ruft noch mal im großen Stil die Berliner Grimetime aus und trägt „BLN“ damit neu auf der Landkarte elektronischer Musik ein
VON ARNO RAFFEINER
Eigentlich machen uns Jahcoozi die Sache mit dem Gutfinden viel zu einfach. Da sind ihre super-PC anpolitisierten Texte, in denen es um Rassismus, Sexismus oder Gentrifizierung geht, die mit ihrem Wortwitz aber zugleich auch für großen Spaß gut sind. Oder da ist das Ding mit dem Schmelztiegel. Das Trio hat nämlich sri-lankisch-englisch-israelisch-deutsche Wurzeln und lässt so das positive Vorurteil vom Melting Pot Berlin tatsächlich Realität werden. Und da ist nicht zuletzt der Faktor Arschwackeln. Der quirlige Jahcoozi-Sound lässt Booty-Musik von Hiphop bis Ragga wie in einem Whirlpool vor sich hin blubbern. Dem nach seinem Hype inzwischen etwas abgeflauten Stil namens Grime prügeln Jahcoozi im Bandformat neuen Schwung in die Pobacken. „It’s Grimetime“, ab jetzt auch in „BLN“.
So nennen Sasha Perera, Oren Gerlitz und Robert „Robot“ Koch ihre Wahlheimat Berlin auf dem Eröffnungsstück ihres neuen, zweiten Jahcoozi-Albums. Alle drei zogen rund um das Jahr 2000 hierher und lernten sich auf Partys kennen. Schnell entdeckten sie den gemeinsamen Willen, Musik zu machen. Koch übernahm fortan die Rolle des manischen Beatbastlers, Gerlitz ist für Bass und Soundtechnik zuständig und Perera für die gewitzten und rasant rausgespuckten Lyrics. Es ergibt sich wie von selbst, dass sie, der MC, auch im Interview sofort die Lead-Rolle übernimmt.
Pereras goldene Ohrringe in Afrika-Form baumeln heftig, wenn sie ihre Sätze immer wieder mit einem hastigen „y’knowwaddamean“ bekräftigt. Noch im Sitzen wirkt sie genauso zappelig wie bei ihren Konzerten, wenn sie in grellbunten Leggins auf der Bühne rumturnt. Und auch genauso resolut. Den unvermeidlichen Vergleich mit der wie sie selbst aus Sri Lanka stammenden Londonerin M.I.A. wischt sie locker mit einer Gegenfrage vom Tisch: „Findest du wirklich, dass unsere Musik so ähnlich ist? Wir haben doch total unterschiedliche Stimmen, und die Produktion ist komplett anders!“ Dass der Vergleich mit M.I.A. so gebetsmühlenartig bemüht werde, liege wohl eher an der mangelnden Wahrnehmung von Rapperinnen generell, sagt sie. „Wenn du irgendwo eine weibliche MC auf einem Track hörst, wer kann das sein? Es kann Lady Sovereign sein, M.I.A., Ms Dynamite oder ich. Nur: Im Grunde könnten es Millionen anderer Frauen sein, aber die kennt leider niemand.“
Nicht nur in BLN arbeiten Jahcoozi nun also daran, dieses Missverhältnis zumindest ein klein wenig geradezurücken. Die drei sind LokalpatriotInnen genug, um mit ihrem Soundmix Berlin neu auf der Landkarte der elektronischen Musik eintragen zu wollen. Und zwar ungefähr da, wo bei Modeselektor noch eine Ecke Hiphop fehlt und Timbaland das entscheidende Quäntchen Roughness abgeht. Gemeinsam mit Acts wie Quio oder den Freunden Al Haca und RQM setzen sie der Hegemonie von Minimal Techno ihre hyperaktiven Grooves entgegen. „Unser Sound ist repräsentativ für eine neue Bewegung, die gerade in Berlin entsteht“, meint Robert Koch. „Hier ist eben nicht alles Techno. In der Stadt passiert vieles, was gerade neu definiert, wie Berlin auch von außen wahrgenommen wird. Für mich ist es einfach ein logischer Schritt, immer wieder andere Elemente reinzunehmen.“
Auch das muss man gut finden: die typische Antihaltung von Jahcoozi, die sich ganz locker über Style und schnelle Reime vermittelt und nie miesepetrig daherkommt: Gegen die Hype-Maschine „LDN“, gegen die Monokultur von Minimal, gegen all zu plakative Slogans. So betont Sasha Perera im Gespräch mehrmals, dass ihre Texte ironisch verstanden werden müssten: „Die Zeile don’t underestimate the power of the Berlin TV tower – die ist 100-prozentig Ironie. Als ich vor kurzem in London war, hab ich zum ersten Mal in meinem Leben den dortigen Fernsehturm fotografiert. Daran habe ich früher nie gedacht, der Turm ist da auch einfach kein Thema. In London passiert viel mehr, deshalb brauchen die sich um ihren verdammten Fernsehturm nicht zu kümmern.“
Bei aller grinsenden Eindeutigkeit in diesem Punkt: Mit dem Positionbeziehen wollen Jahcoozi es sich nicht ganz so einfach machen wie uns mit dem Gutfinden und Arschwackeln. Häufig bleiben bewusste Leerstellen zwischen Pereras Wortkaskaden und der Ambivalenz, die sie darin artikuliert. Was nicht zuletzt auch mit ihrer Lebensgeschichte zu tun hat: „Ich bin genau halbe-halbe: halb Tamilin, halb Singhalesin“, erzählt sie. „Meine Eltern sind geflüchtet, weil ihre Beziehung in Sri Lanka nicht möglich ist. Deshalb habe ich automatisch eine unvoreingenommene Sichtweise. Ich könnte im Konflikt zwischen der Regierung in Sri Lanka und den Tamil Tigers nie einseitig Partei ergreifen.“ Der einzige plakative Slogan, mit dem Perera sich im Infozettel zum zweiten Album zitieren lässt, ist denn auch: „Gegensätze waren schon immer unser Spielplatz.“ Und damit ist genau das benannt, was Jahcoozis schräge Rhythmen so speziell bouncen lässt.
Jahcoozi: „Blitz ’n’ Ass“ (A-Records)