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Archiv-Artikel

Etwas mehr als nichts

100 Tage Opposition: Noch wirkt die neue Landesregierung kämpferischer als ihre Gegenspieler. Während die CDU sich noch selbst sortieren muss, verfolgt die Linke eine Strategie umarmender Kritik

von Benno Schirrmeister

Es ist ein Simulationstermin. Jeder weiß das. Die, die schon länger dabei sind als 100 Tage im Rathaus, sagen: Es sei ja ohnehin kein großer Unterschied, ob nun Grün oder Schwarz mit Rot regiert. Atmosphärisch, okay, darüber ließe sich reden. Aber sonst? „Da hat sich nicht viel geändert.“

Dafür ist wohl der Handlungsspielraum zu klein: Er lässt sich auf exakt 30 Millionen Euro beziffern. Das ist die Summe, die der Senat bei den Haushaltsberatungen von Kürzungen ausgenommen hat – um seine politischen Schwerpunkte zu finanzieren. Macht ist das Potenzial zu gestalten. Die Ziffer der Macht liegt demnach in Bremen bei rund 0,75 Prozent.

Trotzdem gilt auch hier das ungeschriebene Gesetz, dass nach 100 Tagen die Macht Kontur angenommen hat, sich dem Volke zeigt – und angreifbar wird. Ihre Widersacher können sich formieren. Im Rathaus verkündet die Regierung, was sie bewegt und verändert hat. Sie erklärt sich für erfolgreich. Und das klingt mal kämpferisch, mal euphorisch: Mit der Schärfe einer Oppositionsführerin erteilt Bürgermeisterin Karoline Linnert „der Neiddebatte der CDU eine Absage“. Und Bürgermeister Jens Böhrnsen bekennt, dass „diese 100 Tage Lust machen auf sehr, sehr, sehr viel mehr“.

In der Bürgerschaft treten dagegen die parlamentarischen Gegenspieler auf – und tun sich noch schwer damit, ihre Attacken zu kanalisieren. Als erster hat CDU-Fraktionschef Thomas Röwekamp das Wort. Er sagt, dass das alles noch nichts war, und wenn es doch etwas war, dann war es falsch – etwa 40 Millionen Euro mehr an Sozialausgaben einzuplanen, als dem Bundesverfassungsgericht gemeldet. Sein FDP-Kollege Uwe Woltemath rügt zunächst, dass Rot-Grün sich als „Wohlfühl-Koalition“ geriere, beklagt dann aber auch das Aufleben von „Ressort-Egoismen“, es gebe positive Aspekte, aber die Bilanz falle „durchwachsen aus“. Nur, als konkreten Kritikpunkt nennt er ausgerechnet die noch von Innensenator a. D. Röwekamp verantwortete Polizeireform: Die habe Chaos hinterlassen. Und es sei nicht zu erkennen, wie Senator Willi Lemke das nun in den Griff bekommen wolle. Für die Haushaltssanierung sähen sich die Liberalen gerne in ein „Allemann-Manöver“ eingebunden. Dann spricht Klaus Rainer Rupp, weil die beiden Fraktionschefs der Linken gerade verreist sind, und weist erst einmal Woltemaths Ansinnen zurück: „Der Sanierungskurs des Alle-Mann-Manövers“, so Rupp, „hat Bremen doch erst in die jetzige Lage gebracht.“

Die Linke ist so etwas wie die Überraschung der ersten 100 Tage: Einerseits war damit gerechnet worden, dass Rupp Fraktions-chef würde. Jetzt ist er, von der Sitzordnung her, Hinterbänkler. Zudem war befürchtet worden, dass die Parlamentsneulinge Fundamental-Opposition betreiben. Das Wort ist nach wie vor im Gebrauch, aber mittlerweile haben sich die Christdemokraten das Etikett erworben. Die Linke praktiziert stattdessen eine Art umarmende Kritik. So auch Rupp: Man darf davon ausgehen, dass er weiß, dass ein sozialdemokratischer Senat ungern den öffentlichen Dienst beschneidet. Den zu verkleinern, so Böhrnsen zur taz, „halte ich gesellschaftlich für überhaupt nicht angezeigt“. Man sei aber „gezwungen, auch da zu kürzen“.

Rupp kann im Grunde das Gleiche sagen wie der Bürgermeister. Nur hat er den Vorteil, dass er Sachzwänge nicht erwähnen muss. „Da zu sparen“, sagt er, „halte ich für einen falschen Weg.“ Auch fängt er, statt rumzuätzen, erst einmal an zu loben. Der Koalitionsvertrag greife, so behauptet Rupp, „viele Dinge, die wir gefordert haben“ auf. Und das begrüße man. Nur lasse, klagt er, das Regierungshandeln mitunter „die nötige Konsequenz“ vermissen. Exemplarisch nennt er den Umgang mit dem Antrag auf kostenloses Mittagessen für bedürftige Kinder: „Der Bedarf ist bekannt, die geeignete Maßnahme auch – sie wird aber nicht ergriffen.“ Das werde die Linke, da wisse sie sich sogar mit Röwekamp einig, weiter anmahnen. Und der, obwohl er doch gerade die gestiegenen Sozialausgaben angeprangert hatte, blickt ernst ins Rund und nickt dazu.

Röwekamp hat sein Waterloo bereits hinter sich, da macht Rupps stachelige Volte nicht mehr viel aus. Zu öffentlich war die parteiinterne Demontage, zu offenkundig ist der Selbstwiderspruch, in dem sich der CDU-Hoffnungsträger a. D. bewegt, als dass er glaubhaft eine selbstbewusste Opposition verkörpern könnte. Blass wirkt er, fahrig, und ein wenig lustlos, auch wenn er sich bemüht zu lächeln. Nach 100 Tagen braucht das rot-grüne Bündnis den Gegenwind von rechts der Mitte nicht zu fürchten.