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Archiv-Artikel

„Die Regierung weiß, wer sie ermordet hat“

Tschetscheniens Medien liegen in der Hand des Präsidenten. Das „System Kadyrow“ ist für die Journalistin Heda Saratowa zwar immer noch besser als Bomben, aber von Freiheit weit entfernt. Wahrheit ist nach wie vor lebensgefährlich, sagt die Begleiterin von Anna Politkowskaja

HEDA SARATOWA begann 1999 mit dem zweiten Tschetschenienkrieg als freie Journalistin zu arbeiten. 2002 gründete sie das „Medien-Zentrum“ in Grosny. Zuvor war sie bei der Menschenrechtsorganisation Memorial tätig.

taz: Frau Saratowa, die Ermordung von Anna Politkowskaja vor einem Jahr hat internationale Aufmerksamkeit erregt. Gibt es neben dem spektakulären Fall auch wieder mehr Interesse für Tschetschenien?

Heda Saratowa: Die Erschießung hat die Frage der Journalistenmorde und der Gesamtsituation in Tschetschenien von einem toten Punkt weggebracht. Unabhängig von der Art des Interesses ist es wichtig, dass es überhaupt welches gibt. Anna Politkowskaja wurde getötet, weil sie die Wahrheit berichtete. Für Tschetschenien war ihr Tod eine große Tragödie. Alle Leute haben darüber gesprochen. Das Schlimme an der Sache ist, dass es in Russland heute normal geworden ist, unliebsame Personen zu töten. Das besonders Schlimme ist, dass dort viel weniger an Anna Politkowskaja gedacht wird als in anderen Ländern der Welt.

Sie haben Anna Politkowskaja bei Reisen in Tschetschenien begleitet. In ihren Reportagen schrieb sie auch immer wieder, welche Hoffnung man dort in ihre Arbeit setzte.

Das letzte Mal bin ich ihr am Puschkin-Platz begegnet, vier Monate vor ihrem Tod. Während sie in Tschetschenien sehr offen und eigentlich sehr mutig war, machte sie in Moskau auf mich einen sehr ängstlichen und vorsichtigen Eindruck. Das klingt zwar pathetisch, aber in Tschetschenien war sie immer von Frauen umgeben, die ihr Leben dafür eingesetzt hätten, dass Anna nichts passiert. Man hat auf sie aufgepasst, sie überall hin begleitet. In Moskau hat sie sich viel mehr von Feinden und Gefahren umgeben gesehen – was sich als richtig herausstellte.

Der russische Generalstaatsanwalt nannte Verdächtige. Findet eine glaubwürdige Aufklärung des Mordes statt?

Die Regierung weiß, wer Anna Politkowskaja ermordet hat. Ich glaube nicht, dass jetzt die Mörder gefasst wurden oder dass der wirkliche Verantwortliche jemals verurteilt werden soll. Dieser ganze Prozess ist nur für die Weltöffentlichkeit, für das Protokoll. Doch dank westlicher Journalisten, die Putin immer noch unangenehme Fragen stellen können, kommt die Sache noch nicht ganz zur Ruhe.

Mit dem zweiten Tschetschenienkrieg haben Sie selbst begonnen, als freie Journalistin zu arbeiten und Korrespondenten mit Informationen aus Tschetschenien zu versorgen.

Ich verdanke mein Leben wohl auch ausländischen Journalisten. Als ich ihnen das erste Mal in Inguschetien und Moskau Informationen weitergeben konnte, war das wie eine Therapie. Dass es Leute mit Interesse gegeben hat – im Gegensatz zur innerrussischen völligen Gleichgültigkeit.

In anderen Kriegsregionen wie dem Irak spielt das Internet eine wichtige Rolle für kritische Berichterstattung. Kann die Bevölkerung in Tschetschenien Onlinemedien nutzen?

Alle klassischen Medien stehen total unter der Kontrolle von Ramsan Kadyrow und berichten ausschließlich über ihn. Dieser Oligarch hält die Medienlandschaft Tschetscheniens in der Hand. Sämtliche neuen Möglichkeiten, das zu umgehen, werden sehr gerne angenommen. Obwohl die russischen Truppen es geschafft haben, das Land durch den Krieg sehr weit zurückzuwerfen, gibt es doch viele Internetcafés. Das Phänomen, dass Jugendliche den ganzen Tag dort herumhängen, gibt es in Tschetschenien also genauso wie überall sonst auf der Welt.

Präsident Kadyrow rühmt sich, seit seinem Amtsantritt im März Grosny wiederaufzubauen. Wie steht es aktuell um die Infrastruktur?

Grosny wird aufgebaut, es gibt neue Schulen, Krankenhäuser. Wohl der wichtigste positive Punkt an dieser Präsidentschaft ist aber, dass wir nicht mehr bombardiert werden. Von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Redefreiheit oder überhaupt von einem freien Leben ist Tschetschenien unendlich weit entfernt. Prinzipiell denkt Kadyrow „Was Ramsan sagt, habt ihr auch so zu machen!“ Das ist seine Persönlichkeitsstruktur und das sagt er selbst öffentlich. So viel aber über seine Verbrechen bekannt ist, so schrecklich seine Herrschaft sein mag – sie ist der einzige Kompromiss, in dem man halbwegs leben kann. Tschetschenien steht nur vor der Wahl: Gibt es einen neuen Krieg mit Russland oder gibt es Ramsan Kadyrow?

Was bedeutet das für eine Journalistin, die ihrer Arbeit nachgehen will?

Um überhaupt arbeiten zu können, wird von mir als Frau erwartet, überall bei jeder Gelegenheit zu lächeln, bitte schön und danke schön zu sagen. Wenn etwa irgendwelche sogenannten Sicherheitskräfte kommen, um Säuberungen durchzuführen, dann bin ich genötigt, starke Unterwürfigkeit zu zeigen. In keinster Weise bin ich aber eine Parteigängerin Kadyrows. Ich werde oft eingeladen, im Fernsehen oder bei einer Zeitung mitzuarbeiten. Ich habe immer abgelehnt. INTERVIEW: KATHARINA LUDWIG