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Archiv-Artikel

Begegnungen mit der Buchkultur

Während die Großfilialisten den stagnierenden Buchmarkt unter sich aufteilen, lobt man in Niedersachsen alle zwei Jahre einen Preis für die inhabergeführte „Buchhandlung des Jahres“ aus. In diesem Jahr ist das die Buchhandlung Friedrich Schaumburg in Stade. Ein Besuch

Mancher spricht mittlerweile von Krieg, will er den Zustand des deutschen Buchhandels in Worte fassen: In der Branche ist das Gefühl der existenziellen Bedrohung real. Da expandieren Großfilialisten über den traditionellen Markt hinweg in diesen hinein, führen Buchmagnaten eine nicht endende Umsatzschlacht: 2006 wuchs der nationale Handel um 1,1 Prozent, die Buchhandelskette Thalia aber um 30,3 Prozent. Dazwischen zerrieben werden viele der kleinen und mittleren Händler, vorerst gerettet wohl nur durch die Buchpreisbindung – den für alle Mitbewerber verbindlichen Verkaufspreis. Um Feldforschung am neoliberalen Marktmodell zu betreiben, lohnt es also, die nächste Buchhandlung aufzusuchen?

Ins Auge fällt einem da der unlängst wieder einmal verliehene Niedersächsische Buchhandelspreis. Seit 1999 kürt das Kultusministerium in Hannover dadurch im Zweijahrestakt eine „Buchhandlung des Jahres“. Die muss inhabergeführt sein – Filialisten bleiben außen vor. Dieser Geste haftet Tragik an: Der mit 5.000 Euro dotierte Preis steht so symbolisch da wie mutterseelenallein. In diesem Jahr erwählte die Jury aus Verlegern, Vertretern, Literaten und Fachjournalisten die Buchhandlung Friedrich Schaumburg im niedersächsischen Stade. Die nämlich sei sich ihrer Vergangenheit bewusst, heißt es in der Begründung, und lebe ihre Zukunft.

Ausgezeichnet wurde da ein historischer Ort des norddeutschen Buchhandels: 1840 gegründet, wird dort seit jenen Vormärz-Tagen Literatur vertrieben. Als Erster überhaupt im Elbe-Weser-Dreieck habe Friedrich Schaumburg eine Vollbuchhandlung eröffnet, sagt die heutige Betreiberin Heide Koller-Duwe.

Für einen inhabergeführten Händler sind 160 Quadratmeter viel. Vergangenes Jahr quetschte sich eine 800-Quadratmeter-Thalia-Filiale in die Stader Innenstadt. Bei Koller-Duwe und ihrem Mann kostet jedes Buch genauso viel wie bei der Kette. Aber sie erhalten von den Verlagen nicht jene Rabatte, wie sie Thalia mit seinen 211 Filialen durchsetzt. Ganz ohne festen Ladenpreis werden Bestseller verramscht, wie Erfahrungen andernorts zeigen. „Wie die Verlage“, sagt Schaumburg-Prokurist Sebastian Duwe, „leben auch wir von ‚Harry Potter’.“ Der ungeliebte Nachbar aber wirbt mit einem imaginären „Thalia-Preis“. Suggeriert man dem Kunden schon mal, dass es den verbindlichen Ladenpreis gar nicht gibt? Die Wettbewerbszentrale des Börsenvereins des deutschen Buchhandels prozessiert derzeit.

In der Gemeinde Stade positionieren sich die Koller-Duwes mit ihrer Vision einer Begegnungsstätte der Buchkultur, verwurzelt im Lokalen. „Schaumburg-Variationen“ heißt die eigene Veranstaltungsreihe: Ilija Trojanow hat hier gelesen und Rüdiger Safranski, demnächst trägt Heinrich Manns Enkel Jindrich aus seiner Familiengeschichte vor. Beim „Literarischen Frühstück“ wiederum präsentieren sich Verleger wie Nikolaus Hansen von Marebuch. Auch Literaturabende für Eltern werden angeboten und die Lesewettbewerbe umliegender Schulen organisiert und ausgetragen. Nebenher verlegt man noch selbst eine Kinderbuchreihe, in der eine Maus im Laden die Bücherwelt erforscht. Kurz: Koller-Duwes sind Buchmenschen.

Nur wenige Sätze wechselt man mit den Koller-Duwes, schon beglückwünscht sie ein Kunde für den Preis aus Hannover. Die Menschen kämen nicht zufällig zu ihnen, sagen die beiden, sondern ganz bewusst. Und ein teetrinkender Gast pflichtet bei: „Auf mich trifft das zu.“ Hier scheint etwas Unsichtbares am Werk: das Gefühl, nicht aufs Konsument-Sein reduziert zu werden. Vielleicht also gerade das, was den Buchladen um die Ecke am Leben erhalten könnte. MART-JAN KNOCHE