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Archiv-Artikel

Volksentscheid: letzter Aufruf

Zehn Professoren für Politik und Staatsrecht werben für die Stärkung der direkten Demokratie. Der CDU-Vorwurf, es handele sich um einen Anschlag auf die Verfassung, sei unsinnig

VON GERNOT KNÖDLER

An diesem Sonntag wird über die Stärkung von Volksentscheiden in Hamburg abgestimmt. Wer das noch nicht brieflich getan hat, kann zwischen 8 und 18 Uhr in einem der bezirklichen Kundenzentren oder in einer Vielzahl von Schulen in der ganzen Stadt abstimmen. Um den Warnungen der CDU vor einer Verfassungsänderung den Wind aus den Segeln zu nehmen, haben am Freitag zehn Professoren der Politikwissenschaft und des Staatsrechts für die Stärkung von Volksentscheiden geworben.

Mit ihrem Volksbegehren „Hamburg stärkt den Volksentscheid“ reagierten die Initiatoren darauf, dass der CDU-Senat sich zweimal über das Ergebnis von Volksentscheiden hinweggesetzt hat: beim Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) und beim Wahlrecht. Sie wollen Volksentscheide deshalb erleichtern und verbindlicher machen.

Volksentscheide über Gesetzentwürfe oder andere Vorlagen sollen in Zukunft angenommen sein, wenn die Mehrheit der Abstimmenden und mindestens 17,5 der Wahlberechtigten zustimmen. Bisher waren es 20 Prozent. Soll die Verfassung geändert werden, müssten zwei Drittel der Abstimmenden zustimmen, mindestens jedoch 35 Prozent der Wahlberechtigten. Heute liegt diese Schwelle bei 50 Prozent. Das macht den laufenden Volksentscheid zum Volksentscheid aus Sicht der Initiatoren besonders schwer, denn er beinhaltet eine Änderung der Verfassung.

Um eine hohe Beteiligung zu erreichen sollen Volksentscheide nach dem Vorschlag der Initiative grundsätzlich am Tag einer Wahl stattfinden. Über Bundesratsinitiativen, Haushaltspläne, Abgaben, Tarife der öffentlichen Unternehmen sowie Dienst- und Versorgungsbezüge soll das Volk nicht abstimmen dürfen.

Verbindlicher sollen Volksentscheide durch folgende Regel werden: Ändert die Bürgerschaft ein vom Volk beschlossenes Gesetz oder eine Vorlage, so soll diese Änderung nicht vor dem Ablauf von drei Monaten in Kraft treten. Binnen dieser Frist können 2,5 Prozent der Wahlberechtigten einen Volksentscheid über diese Änderung beantragen.

Die CDU hält den Vorschlag der Initiative für gefährlich. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) schrieb einen Brief an 200.000 HamburgerInnen, in dem er dafür warb, mit „Nein“ zu stimmen. Der Vorschlag der Initiative öffne „Tür und Tor für finanzstarke Minderheiten, politische Entscheidungen durchzusetzen“.

Die CDU-Fraktion veröffentlichte im offiziellen Informationsheft zum Teil demagogische Behauptungen: Im Parlament müssten 66,6 Prozent für eine Verfassungsänderung stimmen, nach der Verfassungsänderung genügten 35 Prozent. Dabei verglich sie Äpfel mit Birnen, nämlich zwei Drittel der abstimmenden Parlamentarier, die von einem Bruchteil der Wahlberechtigten gewählt wurden, mit 35 Prozent aller Wahlberechtigten. „Führende Experten warnen: Hände weg von der Verfassung“, behauptete die CDU.

Die zehn Professoren – unter ihnen der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Hans-Peter Bull und Elmar Wiesendahl, Direktor bei der Führungsakademie der Bundeswehr – gehören nicht dazu: 80 Prozent der Deutschen wünschten sich mehr direkte Demokratie. Bei dem jetzigen Volksentscheid stünden die HamburgerInnen vor einer Richtungsentscheidung. Sie könnten die jetzige „Zuschauerdemokratie“ behalten oder sie mit einem zusätzlichen demokratischen Element beleben.