: WIR:HIER
Kapitel 15
Die neue Woche verlief, wie Schulwochen eben verlaufen. Bio, Deutsch, Französisch, Sport, diverse AGs. Nach dem Test ist vor der Klausur.
Matteo stand am Montagmorgen nervös vor dem Schulhof, rauchte und hatte keine Ahnung, wie er Laura begrüßen sollte. Sollen sie sich küssen? Das ging ja wohl gar nicht. Er musste keine Entscheidung treffen, denn Laura kam nicht zur Schule.
In der ersten großen Pause fragte er so unauffällig wie möglich Stella aus. Laura hatte sich bis Freitag krankgemeldet. Mehr wusste Stella auch nicht.
Er hatte gehofft, wenigstens per SMS von ihr zu hören. Eine winzige Nachricht, von der er auf ihre Stimmung schließen könnte. Doch weder am Montag noch am Dienstag meldete sie sich. Dienstagabend schrieb er ihr. Er brauchte über eine halbe Stunde, um den richtigen Ton für seine SMS zu finden. Es gab mehr als genug zu klären, wo fängt man da an?
Ob sie wegen ihm schwänzte? Ging es ihr schlecht? War es zu peinlich, ihn zu treffen? Sollte er einfach was Unverfängliches über die Baupläne tippen? Wäre ne Möglichkeit, die unaufdringlich wirkte, aber trotzdem einen privaten Touch besaß. Schreiben, löschen, umschreiben, löschen, neu schreiben, löschen, abgeschickt. Und sofort gedacht: Mist! Es war der neutralste und kürzeste Text, den er hinbekommen hatte. „Alles ok?“
Er wartete eine Stunde, dann plingte endlich das Handy. „Ja. LG, Laura“
Mmh. Immerhin mit Grüßen. Obwohl „LG“ jetzt nicht so superpersönlich klang.
Matteo zwang sich, nicht darüber nachzudenken und griff zur Gitarre. Seit gestern schwirrte ihm ständig eine Melodie durch den Kopf, G-Dur, B 7, E-Dur. Ganz einfach, doch mit fast hypnotischer Wirkung. Er spielte vor sich hin, fand den Rhythmus zur Melodie, sang leise unsinnige Laute dazu. Nur die Bridge wollte sich nicht hervorlocken lassen, aber aus den Nonsenswörtern wurde ein Anfang.
„Nachts auf dem Dach
Lagen wir und sahen in Handy-Sterne
Die Stadt war still und das Licht zu laut
Nachts auf dem Dach ...“
Zur Bandprobe am Donnerstag kam Laura in den Übungsraum, als wäre nichts gewesen, und packte ihre Gitarre aus. „Na, alles fit bei euch?“
„Cool, dass du da bist. Was war?“
Laura winkte ab. „Erkältung. Nix Schlimmes.“
Cem fragte: „Wo wart ihr eigentlich nach der Party?“
Sie warf einen schnellen Blick zu Matteo, bevor sie antwortete. „Ich hatte Halsschmerzen und Matteo konnte nicht pennen, da haben wir den ersten Zug nach Berlin genommen.“
„Könnt ihr das eurem Schrank erzählen? Ich will spielen!“ Szusza schlug ungeduldig mit ihren Sticks auf die Tomtom.
„Ja ja, dann los.“
Sie spielten die nächste halbe Stunde, aber kaum ein Song klappte. Szusza legte ein wahnwitziges Tempo vor und drosch wie verrückt auf ihr Schlagzeug ein. Die anderen verspielten sich, nicht mal der Duo-Part der beiden Gitarren zu „Ich klau dich“ haute hin. Den können sie sonst im Schlaf.
Cem riss die Geduld. „Ey, könnt ihr euch mal konzentrieren? Das ist totaler Mist, den wir spielen. Zum Kotzen. Das war jetzt das vierte Mal, Szusza, dass du es verhauen hast.“ Szusza sprang von ihrem Hocker auf. „Alter, was willst du von mir! Wenn die beiden“, sie zeigte auf Matteo und Laura, „falsch spielen, bin ich schuld oder was!?“ Matteo begrub die Idee, seinen neuen Song vorzuspielen. Die Band packte ihre Sachen ein, löschte das Licht und alle gingen in unterschiedliche Richtungen davon. Als die anderen nicht mehr zu sehen waren, rannte Matteo hinter Laura her.
„Warte mal. Was ist denn eigentlich los?“ Laura blieb stehen. „Keine Ahnung.“ Sie setzten sich auf die Stufen vor einem Haus. „Meine Eltern machen Megastress, wegen letztens, als wir den Tunnel gesucht haben. Ich kann die nicht mehr ertragen. So was von verlogen.“ Matteo reichte ihr eine gedrehte Zigarette und hörte zu.
„Die wollten mir Stubenarrest geben, weil ich sie angelogen habe. Stell dir das vor. Ich bin sechzehn! Na, und ich dann so: Okay, Stubenarrest, dann bitte richtig und bin nicht zur Schule gegangen. Ey, und sofort schreibt meine Mutter eine Entschuldigung. Damit keine unentschuldigten Fehlstunden auf dem Zeugnis stehen. Die sind so Panne. Immer schön alles unter den Teppich kehren und mir was von gestörtem Vertrauensverhältnis vorlabern.“
„Ich dachte schon, dass du wegen Sonntag zu Hause bleibst.“
„Was? Nee, also nee, Sonntag, das war, ich weiß nicht ... das war ... halt einfach so. Oder?“
„Ja, finde ich auch. War aber schön.“
„Ja.“
„Sollen wir das mit dem Tunnel sein lassen? Ich mach trotzdem mit beim Wettbewerb.“
Laura sah ihn zum ersten Mal, seit sie nebeneinandersaßen, direkt an.
„Du bist süß. Nee, das ziehen wir auf jeden Fall durch. Außerdem – den Senatswettbewerb können wir sowieso vergessen. So wie die Probe heute lief, haben wir keine Chance.“
„Ach Prinzesschen, warten wir es mal ab. Du kannst es jedenfalls entscheiden.“
Laura stupste ihn freundschaftlich in die Seite.
„Ich muss jetzt gehen“, sagte Matteo.
„Mamasöhnchen, wa!“
„Genau. Mach’s gut. Ich ruf dich später an, und erzähl dir, was ich rausgefunden habe, okay?“
„Ich bitte darum. Und: Danke.“
„Wofür denn?“
„Du weißt schon.“ Laura stand auf und umarmte Matteo einen Moment. Sie drückte einen schnellen Kuss auf seine Wange, dann drehten sie sich um und gingen nach Hause
Sarah Schmidt publizierte bereits diverse Bücher und ist in zahlreichen Anthologien vertreten. Ihr aktueller Roman „Eine Tonne für Frau Scholz“ ist im Verbrecher Verlag erschienen und in der Hotlist der 10 besten Bücher aus unabhängigen Verlagen 2014. Für die taz schreibt sie den Fortsetzungsroman WIR:HIER www.sarah-schmidt.de