: Im Schwitzbad des Konservativismus
GESCHICHTSSYMBOLE In der Akademie der Künste am Pariser Platz entwickelte einst Hitler-Architekt Albert Speer seine Pläne für Germania, die Reichshauptstadt. Stoff genug für eine revuehafte Geisteraustreibung durch Studenten aus Berlin und Hamburg
VON STEFAN MAHLKE
Ein riesiger Babykopf mit rollenden Augäpfeln empfängt die Besucher der performativen Installation „Germania – eine Geisteraustreibung“. Drei in hellblaue Overalls gekleidete Angehörige einer Schutztruppe, die zugleich Mediziner sind, beten das Orakel an, zwei davon ein Hakenkreuz bildend. Die Anbetung scheint zu wirken, der Babykopf gebiert wie die Königin eines Insektenstaats immer neue Augäpfel. Die werden von den Medizinern, die einen Nikab vorm Gesicht tragen, aufgesammelt, untersucht und in Regale sortiert.
Wir befinden uns im Neubau der Akademie der Künste am Pariser Platz. Schon einmal war die Akademie an diesem Ort zu Hause – im Sommer 1938 allerdings musste sie ihr Stammhaus komplett an den „Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt“, Albert Speer, abtreten. Hitler stellte dem „Architekten des Führers“ das Haus komplett zur Verfügung, damit der seine Entwürfe jederzeit präsentieren konnte. „Es ist ein Wort aus Stein“, skandiert das Führungspersonal des szenischen Parcours am Donnerstag beim ersten Durchlauf, die Anzugträger mit Blauhelm dozieren über eine Architektur, „die der kritischen Prüfung von Jahrtausenden standzuhalten vermag“.
Bühnenbildstudenten der UdK haben den Parcours auf Einladung der Akademie aufgebaut. Unterstützung haben sie sich geholt von Studenten der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin.
Die Ehre Germaniens
Im ersten Stock dürfen wir dem Archäologischen Institut einen Besuch abstatten. Hinter Glas, wir befinden uns im Zeitalter der Transparenz, ist die deutsche Vorgeschichtsforschung angetreten, die Ehre Germaniens wiederherzustellen. Bei der Suche nach dem Gral werden die Wissenschaftler fündig, aus einem Klo aus Gold ziehen sie ein hartes Stück Scheiße hervor und recken es in die Höhe.
Im zweiten Stock demonstrieren deutsche Männer ihre Überlegenheit: Auf der Wand läuft das Halbfinalspiel der letzten Fußball-WM, Deutschland gegen Brasilien. Unterwegs dorthin kommen wir am antifaschistische Schutzwall vorbei. An ihn sind wie Prometheus zwei Bären gefesselt, ein Berliner und ein Eisbär. Die beiden erleben als Grenzer an diesem „Mausoleum des deutschen Sozialismus“ (Heiner Müller) das Ende der DDR als Befreiung, doch die Schutztruppe, die immer dabei ist, macht dem Spuk schnell ein Ende. 2:0 steht es inzwischen für Deutschland, eine Germania wandelt durch die Flure, mit einer DDR-Fahne ohne Ährenkranz-Emblem vor den Augen, „wir sind das Volk“ flüstert jemand. 3:0, „was ist denn hier los?“, dröhnt Moderator Béla Réthy aus den Lautsprechern, gleich darauf das 4:0, „es ist eine Demütigung“.
Nach diesem furiosen Auftakt macht die performative Wanderung durch vier Stockwerke im Plenarsaal zum ersten Mal Rast. Gefüttert mit den kruden Thesen von Thilo Sarrazin, schwadroniert eine Charlottenburger Witwe bei Kaffee und Kuchen über die Zustände in Deutschland. Das bleibt eher blass, wie auch die folgende Präsentation der Baupläne Albert Speers für die neue Reichshauptstadt. Was schade ist, denn Hitler hatte sich die Modelle mit dem gigantischen Triumphbogen und der noch monumentaleren „Großen Halle“ auf Rolltische montieren lassen, die für eine spielerische Austreibung der Geister einiges hergegeben hätten.
Der Parforceritt durch das historisch kontaminierte Gebäude nimmt aber wieder Fahrt auf. Hitler in Affenmaske bewirbt sich um die Aufnahme in die Kunstakademie, wird zunächst von drei fetten saunierenden Akademiepräsidenten abgelehnt, findet aber, nachdem er eine Pistole gezückt hat, doch noch einen Platz im Schwitzbad des deutschen Konservativismus. Zum großen Finale schließlich wird die Szene „Endsieg durch Anpassung“ gespielt.
Speer, im Schildkrötenpanzer gefangen, wird von Germania im Knast besucht, darf sie besteigen und erhält von der Deutschen Demokratischen Republik die Chance, sich zu rehabilitieren. „Was mir an eurer Mauer nicht gefällt, ist ihre mangelnde Eleganz“, gibt er zu verstehen, doch als er von der Schutztruppe auf den Balkon im vierten Stock geführt wird und auf den Pariser Platz blickt, ruft er erstaunt: „Ihr habt ja die Mauer abgerissen, das gibt’s ja gar nicht, ihr habt ja alles zu Ende gebaut. So hab ich mir das immer vorgestellt, mein Germania. Russen, Amerikaner, Franzosen, die Völker vereint in der deutschen Welthauptstadt.“ Und nimmt Speer junior in die Arme, eine Geburt des Orakels.
Das hat durchaus Witz und Leichtigkeit. Wie überhaupt die Geister in der Inszenierung eher leicht daherkommen – fast zu leicht, als dass sie ausgetrieben werden müssten. Oder ist genau das der Grusel, dass sie uns heute so leicht erscheinen?
■ „Germania. Eine Geisteraustreibung“: Akademie der Künste, Pariser Platz, Sa. u. So., 19 Uhr. 12/6 €