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Archiv-Artikel

Erbschleicher auf Herrentoilette

OPERNPREMIERE Calixto Bieito inszeniert an der Komischen Oper zwei Einakter: Puccinis „Gianni Schicchi“ und „Herzog Blaubarts Burg“ von Béla Bartók

Manchmal lohnt es sich, das Programmheft zu lesen, statt tieferen Sinn zu vermuten. Über die Premiere vom Sonntag an der Komischen Oper steht dort zu lesen, dass sich zwei Männer einen Wunsch erfüllt haben. Henrik Nánási, der Chefdirigent, wollte unbedingt Bartóks einzige Oper aufführen. Er liebt sie über alles und hat das Problem, dass sie mit ihren etwa 60 Minuten zu kurz ist für den Standardbetrieb. Da traf es sich gut, dass Calixto Bieito, der hier nach sechs großen Inszenierungen die Rechte eines Stammgastes genießt, schon immer Puccinis „Gianni Schicchi“ inszenieren wollte. Er hält diesen Einakter schlicht für die „perfekte Komödie“.

Zufälligerweise sind beide Werke im Jahr 1918 uraufgeführt worden. Das Problem der Kürze allerdings besteht für Puccini nicht. Der geschäftstüchtige Großmeister hatte einfach noch zwei andere Einakter geschrieben („Il tabarro“ und „Suor Angelica“) und sie mit großem Prunk an der Met in New York herausgebracht unter dem Sammelnamen „Il trittico“, unter dem sie noch heute einen festen Platz in den Spielplänen der Welt haben.

Niemand lacht

Aber nicht an der Komischen Oper, denn die beiden Anfangsstücke verlangen Singstimmen, über die das Haus an der Behrenstraße nicht verfügt. Nur die dicht komponierte Komödie am Schluss verzichtet auf den typischen Puccini-Sound und verlangt stattdessen genau das, was das Ensemble hier am besten kann: flexibles, gestisches Singen, für das die genaue Artikulation der Musik wichtiger ist als der große Effekt an der Rampe.

Tatsächlich verlässt sich Bieito ganz darauf und sperrt die 16 Rollen in ein Wohnzimmer, das die Bühne künstlich verkleinert. Wir blicken in eine schrecklich tapezierte, mit Möbeln vollgestopfte Welt katholischer Kleinbürger. Es geht zu wie in einer Vorabendserie, laut und schrill, seltsam ist nur, dass trotzdem niemand lacht – zumindest nicht in der Premiere. Am Fernsehrealismus kann es nicht liegen, auch nicht daran, dass im Tumult der Erbschleicher Puccinis überaus subtiler Orchestersatz gelegentlich untergeht. So drastisch die Geschichte um die Korrektur eines allzu frommen Testaments erzählt ist, man spürt, dass es darum nicht geht. Puccini ist nur Platzhalter.

Wie in jeder guten Komödie bleibt am Ende ein Liebespaar übrig. Jetzt aber wird ohne Pause weitergespielt. Möglich ist das, weil das Wohnzimmer der Bühnenbildnerin Rebecca Ringst in fahrbare Segmente auseinanderbrechen kann. Das Mittelstück mit dem Totenbett rückt nach hinten und ein neues Liebespaar kommt herein. Gidon Saks ist ein düster geschminkter Edelgauner, Ausrine Stundyte gibt eine verliebte Sekretärin dazu.

Beide sind als Gäste verpflichtet worden. Wer sich mit ihrem Auftritt jedoch verabschiedet, ist Calixto Bieito. Das Theater gehört jetzt Henrik Nánási. Es ist wunderbar, ihm zuzuhören, wie er mit seinem Orchester und diesen beiden Singstimmen Bartóks Werk nicht nur spielt, sondern von seinen Fundamenten her aufbaut und verstehen lässt. Raue, der Volksmusik entliehene Melodien erzeugen freie Harmonien, eingebettet in Orchesterfarben, die von Strauss und Debussy her kommen mögen, aber weit darüber hinausweisen.

Nur offenbart diese kongeniale musikalische Interpretation auch, dass Béla Balázs, der Librettist, ein Kind seiner Zeit war. Wie zahllose andere Literaten sog er Freuds Enthüllungen über unser Triebleben in sich ein und ließ seinen Männerfantasien freien Lauf. Bieitos Sache wäre es gewesen, eine zweite Ebene der historischen Distanz einzuziehen. Sie fehlt völlig und so muss die verliebte Sekretärin alles erdulden, was der Chef so in der Hose hat. Bieitos Beitrag ist eine mit der Hand simulierte Erektion.

Nein, glücklich ist dieser Blaubart nicht. Der Zaubergarten hinter einer seiner Türen ist ein Pissoir. Tragisch, aber auch geweint hat niemand – zumindest nicht in der Premiere. NIKLAUS HABLÜTZEL

■ Wieder am 7., 15. + 19. März