: Bitterer Puccini
OPERNPREMIERE Rolando Villazón gibt ein Gastspiel an der Deutschen Oper. Aber er singt nicht, er hat eine komplette Oper inszeniert, die niemand wirklich kennt: „La Rondine“ von Giacomo Puccini
VON NIKLAUS HABLÜTZEL
Wenn Rolando Villazón zum Applaus antritt, wird der Jubel im Saal laut. So ist das seit Jahren und überall, wo er seinen Tenor erklingen lässt. Er ist ein Weltstar geworden, weil er seine Rollen mit Leben füllt und sie spielt wie ein glückliches Kind, das begeistert ist von so viel Schönheit und – ja: auch Wahrheit im Theater.
Auch jetzt am Sonntag kam er an die Rampe, aber er kam als Letzter. Denn er war der Regisseur (der üblicherweise ausgebuht wird). Laut wurde es auch jetzt, aber nicht nur im Saal. Auf der Bühne war Party. Villazón tanzte, lachte und umarmte seine singenden Freunde und Freundinnen. Glücklich waren sie alle, und so ähnlich war es wohl auch in den Proben davor. Denn Villazón konnte ihnen ja nicht nur sagen, wie sie diese oder jene Stelle gestalten sollten, er konnte sie ihnen einfach vorsingen – und auch spielen oder tanzen wie ein Kind.
Es müssen magische Momente gewesen sein, und was dabei am Ende entstand, ist denn auch nichts weniger als ein Wunderwerk des Musiktheaters, ein schwerelos schwebendes Stück für zwölf Gesangsrollen, Chor, Ballett und Symphonieorchester, weder Komödie noch Tragödie, eher ein tief melancholischer Traum des vergänglichen Wohlklangs.
Der Erste Weltkrieg begann
Dieses Stück heißt „La Rondine“, die Musik schrieb Giacomo Puccini, den (italienischen) Text Giuseppe Adami nach einer Vorlage der beiden Operettentexter Alfred Maria Willner und Martin Reichert. Das Carltheater in Wien bot 1914 dem italienischen Maestro 300.000 Kronen für ein neues Stück, dazu Tantiemen und Aufführungsrechte außerhalb des deutschen Sprachraums. Verlockend genug für den geschäftstüchtigen Komponisten, nur hatte gerade der Erste Weltkrieg begonnen. Puccini, der nicht so recht wusste, auf welcher Seite er stehen sollte, komponierte trotzdem und war am Ende sehr zufrieden mit seinem Werk. Sein Verleger Ricordi allerdings hielt es für „schlechten Lehár“, und inzwischen war auch Italien in den Krieg eingetreten. An eine Uraufführung in Wien war nicht zu denken. Ersatzweise fand sie 1917 in Monte Carlo statt, danach wurde „La Rondine“ schlicht vergessen. Man hatte andere Sorgen als eine Bankiersmätresse, die von der reinen Liebe träumt.
Darum nämlich geht es, und es musste wohl ein Sänger kommen, um dieses Werk ins Leben zurückzuholen. Die dramatische Substanz ist dürftig, aber Villazón hat gearbeitet, wie ein Sänger eben arbeitet: Note für Note durchhören, geduldig ausprobieren, bis alles stimmt. Das ist schwer genug, aber nur die Hälfte. Denn zu jeder Rolle gehört auch Distanz, und der Kontext, aus dem heraus sie ihren Sinn erhält.
Alle sind jetzt perfekt
Villazón hätte wahrscheinlich einen wundervollen Ruggero singen können, den armen Mann, der die Mätresse heiraten will und von Kindern im Eigenheim träumt. Nun aber hat er seine Kunst ausgedehnt auf das ganze Ensemble. Jetzt sind alle so perfekt und genau, die kurzfristig für eine erkrankte Kollegin eingesprungene Aurelia Florian ebenso wie Alexandra Hutton, oder die Männer Charles Castronovo und Álvaro Zambrano.
Und was Distanz und Kontext angeht, so hat er ihnen einen Weg gewiesen, auf dem das Plapperstück zum modernen Kammerspiel wird. Eine kluge Frau besteht auf ihrer Freiheit auch in der Liebe. Dafür verlegt Villazón den Schauplatz aus der Belle Epoque in die Roaring Twenties. In Paris wird Jitterbug getanzt im Baströckchen, und in den Kulissen hat der Surrealismus die Macht übernommen. Tizians „Venus von Urbino“, die im ersten Akt für die Männerschwüle an der Wand sorgt, ist am Ende nur noch der ausgeschnittene Umriss in einem Himmel mit weißen Wölkchen von Magritte.
Das Stubenmädchen darf auch mal als Man Rays „Violon d’ Ingres“ seinen nackten Rücken zeigen. Nichts davon kannte Puccini, aber eben dadurch wird seine Größe sichtbar. Seine Musik ist leise geworden. Die paar kurzen Arien klingen bitter. Zögernd und immer wieder abbrechend tasten die Melodien den Wohlklang ab, zitieren gelegentlich Passagen aus älteren Werken, begleitet von einem sehr zurückhaltenden Orchester.
Puccins Lebensthema war die Liebe zwischen Mann und Frau über den Tod hinaus. Es endet wie Tizians Gemälde, in Fragmente zerschnitten im zweiten und als Leerstelle im dritten Akt. Mimi, Madame Butterfly und Tosca haben nur geträumt. „Romance without Finance is A Nuisance“ wird schon bald Lloyd Grimes singen, und Charlie Parker wird dazu sein Saxofon spielen. Nur ganz große Opern können ihrer Zeit so weit voraus sein.
■ Nächste Vorstellungen: 12., 14., 18., 27. März, 9. April 2015