bücher für randgruppen : Geisterstimmen, Trance-Reden, Klopflaute: paranormale Klänge aus den letzten Winkeln des Unterbewusstseins
Die Einführung der CD läutete die größte Krise der Schallplattenindustrie ein. Während die Vinylplatte aufgrund ihrer Haptik und Größe die Libido des Sammlers reizte, gilt die CD als unsinnliches Massenprodukt. Sie ist leicht zu kopieren; das Original ist mit ihr abgeschafft. Doch gibt es Ausnahmen. So findet das Kölner Label supposé nicht nur immer wieder seltene Aufnahmen und Dokumente, sondern verpackt und gestaltet sie auch zu kleinformatigen Kunstwerken. Dazu gibt es oft ein Begleitbüchlein, Booklets genannt, reizend anzuschauen.
Vorliegendes dokumentiert Stimmen und Klänge aus paranormalen Bereichen. Es war der schwedische Opernsänger Friedrich Jürgenson, der 1959 auf einer Tonbandaufnahme seltsame Stimmen hörte, die ihm Dinge erzählten, die eigentlich nur er wissen konnte. Von nun an verfolgte er das Phänomen der Tonbandstimmen und veröffentlichte 1967 „Sprechfunk mit Verstorbenen“. Mit „Okkulte Stimmen – Mediale Musik“ gibt es nun eine wunderbare Zusammenstellung der Phänomene, die da reichen von Geisterstimmen über Trance-Reden und Klopfgeister bis zu Zaubergesang. Die Herausgeber Andreas Fischer und Thomas Knoefel interessierte nicht, ob die akustischen Ereignisse wahr, manipuliert oder gefälscht sind, sondern die vorurteilslose Dokumentation. Bislang existierte solch eine umfassende Zusammenstellung auf Tonträger nämlich noch nicht. Ich selbst habe unter großem Aufwand das spurlos im Äther verschollene Konzert meiner damaligen Band „Die Tödliche Doris“ in Fallersleben 1981 mithilfe eines Mediums und Computerpsychophons rückführen und 2004 bei vinyl-on-demand veröffentlichen können. Auf die durch die lange Abwesenheit völlig verzerrten Aufnahmen wartete ich über zwanzig Jahre.
Insofern kann die Leistung des vorliegenden 3-er-CD- Sets, dessen Aufnahmen von 1905 bis 2007 reichen, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Eine ungehörte Welt der Töne öffnet sich, Klänge aus den letzten Winkeln des Unterbewusstseins und der Vergangenheit drängen nach außen. Absurdes, Morbides und Schreckliches wird hörbar. So die besorgte Stimme des katholischen Priesters Arnold Renz, der durch seinen „Großen Exorzismus“ an der Knurrlaute und Beschimpfungen ausstoßenden Anneliese Michel schließlich wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt wurde. Andere Aufnahmen wie die der Minnie Harrison (1954) erinnern an die Ursonate, die des materialisierten Geistes „Hänschen“ (1965) an einen bösen Gnom aus dem Märchen. Die „hellsehende Schallplatte“, die Hanussen bespricht (1932), klingt dagegen zeitgemäß und ziemlich vernünftig. Eine zauberhafte Kollektion, die in keinem Haushalt fehlen darf.
Eine weitere Möglichkeit, der unsinnlichen CD eine Aura zu geben: In Kleinauflagen von jeweils 50 Exemplaren veröffentlicht der Hybriden-Verlag regelmäßig in graue Kartons gebundene Künstlerbücher mit Originalzeichnungen und fein eingelegter CD. Auf der aktuellen „Mimas Atlas“ Nr. 6 finden sich Tonexperimente und Kurzhörspiele von Berlins Elektropop-Punk-Artist Namosh, aufgenommen auf gebrauchten Ramschtapes zu 50 Cents. Alte Stimmen und vergangene Klänge scheinen durch: „Tonbänder können weder argumentieren noch täuschen. Sie zeichnen lediglich etwas auf“, so leitet die wunderbare Stimme von Zülfiye Arslan das Hörspiel ein: „Tonbänder sind kein Ersatz für eine persönliche Kommunikation, aber sie können wertvolle Hinweise auf die Art der Kommunikation liefern.“ Dazu ertönen Glöckchen, Geräusche und Stimmen aus dem Jenseits. Namosh versöhnt es charmant mit dem Diesseits. WOLFGANG MÜLLER
Fischer, Knoefel: „Okkulte Stimmen – Mediale Musik“. 20-seitiges Booklet, in Deutsch/Englisch, mit 3 CDs. supposé Köln 2007, 39,80 Euro; Namosh: „Schocko & Co.“. Soundcollagen, Musik, Texte und 4 Originalzeichnungen. Hybriden-Verlag Berlin 2007, 50 Euro