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Archiv-Artikel

„Sha-ba-do-ga“– Schlachtruf der Fischer

STRANDLEBEN Über 550 Kilometer erstreckt sich Ghanas Küste. Doch statt Fischer wohnen dort immer mehr Freizeitler

Infos zu Ghana

■ Anreise: Egypt Air fliegt via Kairo nach Accra. Preis: ab 400 Euro. Ghana ist fast so groß wie Großbritannien, mit dessen Geschichte es durch die Kolonialzeit eng verbunden ist.

■ Visum: Es kostet 50 Euro und kann bei der Botschaft beantragt werden: www.ghanaemberlin.de

■ Übernachtung: Das Pleasant Ville Beach Resort in Ningo wird von einem libanesisch-britischen Ehepaar betrieben. Die Zimmer kosten 15 und 25 Euro. www.pleasantbeachvilleresort.com

■ Literatur: Jojo Cobbinah: „Ghana“. Peter Meyer Verlag, Frankfurt 2009, 29,95 Euro

VON BJÖRN STEPHAN

David Buabasah steht am Bug seines Kanus und gibt den Takt vor. Jedes Mal, wenn eine Welle angerauscht kommt und die Brandung das Boot weiter an Land spült, ruft er: „Sha-ba-do-ga!“. Zwanzig abgerissen aussehende Männer antworten im Chor: „A-way!“ und stemmen ihr ganzes Gewicht in ein dreißig Meter langes Seil. Es ist eine alltägliche Szene, neun Uhr morgens am Strand von Ningo: Die Fischer sind heimgekehrt und bringen die Kanus an Land. Das „Shabadoga! – Away!“ ist ihr Arbeitsrhythmus. Schon seit Jahrhunderten ist das so. Aber wie lange wird er noch ertönen an Ghanas Küste, der Schlachtruf der Fischer?

Über 550 Kilometer erstreckt sich Ghanas Küste. Wie auf einer Perlenkette aufgezogen reihen sich die Fischerdörfer an dem Küstenstreifen. Laut einer Studie der Vereinten Nationen sind es 189. Die meisten von ihnen sehen malerisch aus und sind bettelarm – so auch Ningo, wo David seit fünf Monaten lebt. In Ningo gibt es einen Palmenhain, eine Lagune, bunt bemalte Pirogen und zusammengeflickte Holzhütten – ohne Strom und fließend Wasser. Da Accra nur 70 Kilometer entfernt ist, kommen viele Hauptstädter über das Wochenende her. Am Strand schießen die Ferienhäuser wie Pilze aus dem Boden.

David Buabasah, 27 Jahre alt, eine Schmucknarbe auf der rechten Wange und Hände so rau wie Schmirgelpapier, fährt, seit er 18 ist, zur See. Wie auch schon sein Vater und sein Großvater. Etwas anderes als fischen kann David nicht. Dennoch sagt er: „Manchmal frage ich mich, ob das alles überhaupt noch Sinn macht.“

Die Zeiten sind schwerer geworden für die Fischer. Immer weiter müssen sie rausfahren, immer weniger fangen sie. Schuld sind die Trawler, die sich im Golf von Guinea tummeln. Mit ihren Schleppnetzen plündern sie die Fischgründe und zerstören so die Lebensgrundlage der Kleinfischer. Rund 75 Trawler sollen zurzeit durch ghanaische Gewässer kreuzen. Sie kommen aus China, Korea oder der EU. Viele von ihnen fischen illegal. Das heißt, sie missachten Schutzzonen, überschreiten Fangquoten und segeln unter Billigflaggenländern wie Panama oder den Bahamas, um internationale Fischereiabkommen zu umgehen. Laut einer Studie des britischen Thinktanks MRAG verursacht illegales Fischen in Ghana jeden Tag einen Schaden von 100.000 Dollar.

David versucht, sich ein Lächeln abzuringen, als er seinen Fang begutachtet. Doch die Enttäuschung steht ihm unübersehbar ins Gesicht geschrieben. Die ganze Nacht war er mit seinem Kanu draußen, einer Nussschale mit Außenbordmotor, mehr als 20 Seemeilen von der Küste entfernt, neun Stunden lang. „Es war ein schlechter Tag“, sagt David. Gefangen habe er nicht viel. Lediglich ein paar Red Snapper, einen Hummer und jede Menge Kleinfisch – Makrelen, Sardinen, Anchovis. Den Frauen, die sich um David scharen, ist das herzlich egal. Sie kaufen, was sie kriegen können.

Nachdem David auch die letzten zwei Sardinen verkauft hat, schreibt er eine große 52 in sein Notizbuch und unterstreicht sie doppelt. 52 Ghana Cedi, hat er heute verdient. Das sind ungefähr 26 Euro. „Mit dem Dreifachen wäre ich zufrieden gewesen“, sagt David. Dann zahlt er die sechs Fischer aus, die gemeinsam mit ihm zur See fahren – auf seinem Kanu. Sie treten ihm dafür ein Fünftel ihres Fangs ab, er bezahlt das Benzin. Das ist der Deal. Von der großen 52 in seinem Notizbuch bleiben David unter dem Strich 8 Ghana Cedi. Damit geht es ihm besser als vielen anderen Ghanaern.

Die Hälfte der Bevölkerung lebt von weniger als 1 Dollar pro Tag. Doch 8 Ghana Cedi sind nicht viel, wenn man davon seine Frau und seine zwei kleinen Kinder ernähren muss. Und das, was übrig bleibt, schickt David seinen Eltern nach Hause. Zwei Millionen Menschen leben in Ghana von der Fischerei, das ist jeder zwölfte. Die meisten sind Verkäufer, Mittelsmänner, Großhändler oder Bootsbauer. Nur 150.000 arbeiten als Fischer.

David und seine Familie wohnen zur Miete in einem 8 Quadratmeter großen Raum. Man sieht gleich: Sie sind auf der Durchreise. Die Wände sind unverputzt, in der Ecke stehen zwei zusammengerollte Schlafmatten aus Bast, ein paar Koffer und der Außenbordmotor. Es ist die spartanische Behausung eines Mannes, der nach Ningo gekommen ist, um hier zu arbeiten. Fischen, um zu leben. Irgendwie.

David fischt noch genau so wie sein Großvater: auf einer zehn Meter langen Piroge und mit Muskelkraft. Es hat sich wenig verändert, seitdem die Briten vor 50 Jahren Außenbordmotoren einführten. Fischen in Ghana ist ein Handwerk geblieben. Die Trawler hingegen, die in den Hochseehäfen von Tema oder Takoradi vor Anker liegen, sind schwimmende Fabriken. Mitunter sind sie monatelang auf See, der Fisch wird gleich an Bord verarbeitet und in Dosen gefüllt, bereit für den Export. Ausgerüstet sind die Trawler mit engmaschigen, bis zu 900 Meter tiefen Schleppnetzen, die Unmengen an Beifang produzieren. Darunter Meerestiere, die unter Artenschutz stehen, wie Meeresschildkröten, Haie und Rochen. Achtlos werden sie ins Meer zurückgekippt.

Ein ungleiches Duell

Noch haben die Kleinfischer die Oberhand. 70 bis 80 Prozent des Fischs, der in Ghana gefangen wird, stammt aus ihren Netzen. Doch die industrielle Massenfischerei holt auf. Die Zahl der Trawler wächst im Gleichschritt mit der Nachfrage nach Thunfisch und Shrimps in Europa und Asien. Es ist ein ungleiches Duell. Tradition und Moderne prallen ungebremst aufeinander. Zum Beispiel dann, wenn die Trawler in der Schutzzone der Kleinfischer wildern. „Manchmal zerstören sie unsere Netze. Sie fahren einfach drüber hinweg“, sagt David.

Ursprünglich stammt David aus dem Osten Ghanas, aus Anloga, einem Dorf, errichtet auf einer Sandbank zwischen der Keta-Lagune und dem Atlantik. Es ist kein gutes Terrain für Fischer. Die See ist wild, und immer wieder gibt es Überschwemmungen. Davids Eltern leben noch immer dort. Die Jungen und Arbeitsfähigen aus dem Buabasah-Clan haben jedoch alle das Weite gesucht. David war erst drei Jahre in Nyanyano, im Westen Ghanas, dann ist er nach Ningo gekommen. „Weil meine Cousins hier sind“, sagt er.

Davids Cousins leben schon ein paar Jahre in Ningo. Dennoch sind sie Fremde geblieben. Das liegt daran, dass sie zum Stamm der Ewe gehören. In Ningo aber sind die Dangbe zu Hause. Zwei Stämme, zwei Sprachen und jede Menge Ressentiments. Für die einheimischen Fischer sind die Ewe Eindringlinge, die ihnen das Geschäft verderben. Bevor die Buabasahs in Ningo fischen durften, mussten sie eine Erlaubnis vom Chief Fisherman einholen. Der Preis: 60 Ghana Cedi und zwei Flaschen Gin.

Chief Fisherman Nartey Adimai der Fünfte trägt einen blauen Kaftan und sitzt den ganzen Tag auf seinem Stuhl neben der Tankstelle, an der er Schiffsdiesel verkauft. Vor drei Jahren hat er das Amt von seinem Vater geerbt. Selbst fischen muss er seitdem nicht mehr. Was er denn gegen die Trawler ausrichten könne? Chief Nartey schweigt. Englisch spricht er nicht. Dafür antwortet sein Sekretär: „Wenn wir einen Trawler dabei erwischen, dass er unsere Netze zerstört, rufen wir bei der Regierungsstelle in Tema an und melden sein Kennzeichen.“ Nach einer kleinen Pause fügt er an: „Aber dann passiert meistens gar nichts.“

Chief Nartey lächelt nur dumpf. Der Mann, der die Interessen von rund 1.000 Fischern vertritt, ist sprachlos. Eine Schule hat er nie besucht.

Vielen lokalen Autoritäten geht es so. Sie sind überfordert. Auch das ist Teil des Problems. Schwerer aber wiegt, dass es keinerlei Restriktionen für die Trawler gibt. Zwar müssen sie Lizenzen erwerben und bis zu 2 Millionen Dollar Strafe zahlen, wenn sie beim illegalen Fischen erwischt werden, doch eine Kontrolle gibt es nur auf dem Papier. Die staatlichen Behörden sind unterbesetzt und unterfinanziert. Zuletzt wurden im Dezember 2009 zwei chinesische Trawler unter Arrest gestellt. Richster Nii Amarfio von der ghanaischen Umweltorganisation CSRM spricht daher von einem „Open Access Marine Regime“. Man könnte es auch einen rechtsfreien Raum nennen. Es gilt das Recht des Stärkeren.

Am späten Nachmittag sitzt David am Strand von Ningo und flickt sein Netz. Er redet davon, dass es sein Sohn einmal besser haben soll als er, und davon, dass er ihn auf eine gute Schule schicken möchte. Auf dem Kanu, an dem David mit seinem Rücken lehnt, steht in blauen Lettern auf gelbem Untergrund „Fear Tomorrow“. Ob er denn die Zukunft fürchte? Manchmal mache ihm das, was komme, schon Angst, gesteht er. Dennoch schmiedet der Fischer ohne Zukunft Pläne. Ab Oktober wolle er auf das Nautica College in Tema gehen, sagt David. Und dann Kapitän werden. Auf einem Trawler.