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Archiv-Artikel

Aus für den Walter-Linse-Preis

Der Förderverein der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen zieht den umstrittenen Walter-Linse-Preis zurück. Vereinschef Jörg Kürschner steht aber weiter unter Beschuss

BERLIN taz ■ Der Förderverein Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen wird seinen Preis zur Förderung der kritischen Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur nicht nach Walter Linse benennen. Das teilte der Vereinsvorsitzende Jörg Kürschner am Donnerstag mit.

Linse saß Ende der 40er-Jahre in Westberlin als Mitglied im Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen, der Unrechtstaten der SED-Justiz anprangerte und von der CIA unterstützt wurde. Linse wurde 1952 von der Stasi verschleppt und in Moskau erschossen.

Allerdings war Linse nicht nur Opfer dieses Verbrechens, sondern in der NS-Zeit auch an der Enteignung und Ausplünderung jüdischen Eigentums in Chemnitz beteiligt. Dies wurde im Juli publik – seitdem stand die Gedenkstätte Hohenschönhausen und insbesondere der Förderverein stark in der Kritik. Vor allem Martin Gutzeit, der Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Berlin, hatte die Preisbenennung wegen Linses NS-Verstrickung scharf angegriffen. Der Vorsitzende des Fördervereins, Jörg Kürschner, hatte hingegen im Juli noch vermutet, dass Linse „ein Schindler von Chemnitz“ gewesen sei. Dafür allerdings sprach wenig.

Der Politologe Benno Kirsch, Autor einer Biografie über Linse, wertete dessen Beteiligung an den „Arisierungen“ differenziert. Der Historiker Klaus Bästlein kam allerdings Ende September zu einem weit negativeren Urteil. Linse, so Bästlein, „war ein NS-Täter“.

Nun drängt sich die Frage auf, warum der Chef des Fördervereins, Jörg Kürschner, erst jetzt den Rückzug antritt. Kürschner erklärte am Donnerstag, dass eine gültige Bewertung der Rolle Linses in der NS-Zeit in absehbarer Zeit unmöglich sei. Dies habe das Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ) mitgeteilt. Der taz sagt Kürschner zudem, dass die „irrationale Debatte“ um Linses Beteiligung an den Arisierungen zum Glück zu Ende sei. Damit bezog er sich auf kürzlich erschienene Beiträge im Berliner Tagesspiegel und dem TV-Magazin kulturzeit, die freundlich über Linses Biografie geurteilt hatten.

Dass Kürschner den Walter-Linse-Preis genau in dem Moment zurückzieht, in dem er zaghaften medialen Rückenwind für seine Position hat, leuchtet nicht ein. Wahrscheinlicher ist, dass der Zeitpunkt des Rückzugs mit der Sitzung des Beirats des Fördervereins am heutigen Freitag zu tun hat. Denn in dem Beirat, in dem Historiker, Leiter von NS- und DDR-Gedenkstätten und unter anderen Marianne Birthler und Martin Gutzeit sitzen, regt sich heftige Kritik an Kürschners sturem Beharren auf Linse.

Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass Kürschner als Vorsitzender des Fördervereins abgewählt wird. Sein Rückzug erscheint insofern als Versuch, in letzter Minute seine Abwahl zu verhindern. Der Preis soll künftig „Hohenschönhausen-Preis zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur“ heißen.

STEFAN REINECKE

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