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Archiv-Artikel

„Andreas, mach diese Tür auf“

ERMITTLUNGEN Nach der Untersuchung des Voice-Recorders kommt der französische Staatsanwalt zu dem Schluss: Es war wohl kein Unfall. Der 28-jährige Copilot habe das Flugzeug willentlich gegen das Bergmassiv gelenkt

Die Passagiere hätten wohl erst kurz vor dem Crash gemerkt, was geschah

VON RUDOLF BALMER

PARIS taz | Die Geräusche und Gespräche auf dem Voice-Recorder liefern eine Erklärung für den Absturz des Airbus A 320 der Germanwings am Dienstag. Die Aufzeichnung lässt wenig Zweifel an der Version der Ereignisse, die der mit der Ermittlung beauftragte Staatsanwalt Brice Robin am Donnerstag für die Medien und die Familienangehörigen der Opfer zusammenfasst: Der Copilot, der 28-jährige Andreas L., habe absichtlich den Bordkapitän aus dem Cockpit ausgesperrt und dann willentlich den Sinkflug eingeleitet.

Andreas L. habe auf keine Alarmsignale und Warnungen der Bodenkontrolle reagiert. „Er hatte den Vorsatz, das Flugzeug zu zerstören“, schließt Robin aus den vorliegenden Elementen der Tonaufzeichnungen während der letzten dreißig Minuten vor dem Crash. Damit können technische Probleme oder Witterungsbedingungen als Ursache der Katastrophe ausgeschlossen werden. Diese Erklärung mit einem „unerklärlichen Fehlverhalten“ wirft indes neue Fragen nach dem Motiv des jungen Copiloten auf.

Zuerst hatte die New York Times am frühen Donnerstagmorgen unter Berufung auf interne Quellen in den Ermittlungskreisen erste diesbezüglichen Informationen verbreitet. Einer der beiden Piloten habe das Cockpit verlassen. Wenig später aber, als er wieder Einlass verlangt, bleibt die gepanzerte Türe geschlossen, das Klopfen wird zum Hämmern, aus dem Cockpit aber kommt keine Antwort. Zuletzt lassen die registrierten Geräusche vermuten, dass von außen (vergeblich) versucht wird, die Türe mit Gewalt zu öffnen.

Der Staatsanwalt, der äußerst empört über diese von den Medien veröffentlichten Indiskretionen ist, kann das nur bestätigen. Er liefert am Mittag bei seiner Pressekonferenz auf dem Flugplatz Marseille-Marignane allerdings viel mehr Einzelheiten und seine persönlichen Schlussfolgerungen dazu: Zu Beginn sei der Flug völlig normal verlaufen, die Gespräche unter den beiden Piloten seien freundlich. Als der Bordkommandant Patrick S. beim üblichen Briefing die bevorstehende Landung in Düsseldorf bespricht, antwortet der Copilot merkwürdig „lakonisch“. Die Airbus-Maschine des Flugs 4U 9525 hat bereits die normale Flughöhe erreicht. Der Kapitän schaltet die automatische Steuerung ein und überlässt dem Copiloten das Kommando. Auf dem Voice-Recorder sei deutlich zu vernehmen, wie er von seinem Sitz aufsteht und das Cockpit verlässt, dessen Tür sich automatisch verriegelt.

„Der Copilot ist allein im Cockpit, als er auf dem Flight-Monitoring-System den Sinkflug der Maschine in Gang setzt. Das kann nur eine willentliche Handlung sein. Danach hört man den Bordkommandanten, der mehrfach Einlass in die Pilotenkabine verlangt. Der Copilot antwortet nicht. Man hört aber bis zum Schluss sein Atmen. Er lebte also. Es ist ein normales Atmen, nicht ein Keuchen wie eventuell bei einem Infarkt.“

Für Staatsanwalt Robin gibt es keine andere Erklärung als die Absicht, das Flugzeug abstürzen zu lassen. In den letzten 8 Minuten vor dem Aufprall wird im Cockpit kein einziges Wort gesprochen. Von draußen aber kommt der verzweifelte Ruf: „Andreas, mach diese Tür auf!“ Ganz zuletzt seien auf der Tonaufzeichnung auch Schreie zu vernehmen. Die übrigen Besatzungsmitglieder und vor allem die Passagiere hätten wohl erst kurz vor dem Crash gemerkt, was geschah. Robin: „Alle waren bei der Kollision mit dem Berg bei einer Geschwindigkeit von 700 Stundenkilometern sofort tot.“

Er hat bis dahin eine gerichtliche Untersuchung zur Katastrophe wegen „fahrlässiger Tötung“ geleitet. Aufgrund der neuen Erkenntnisse wird er prüfen, ob man jetzt nicht eher von einem vorsätzlichen Verbrechen ausgehen muss. Dringend angewiesen ist er dabei auf die Informationen aus Deutschland über den persönlichen und beruflichen Hintergrund des Copiloten, dessen Angehörige seines Wissens zusammen mit Familien von Opfern der Katastrophe in Frankreich eingetroffen waren. Man kann sich vorstellen, wie diese Angehörigen von L. doppelt schockiert sein müssen.

Zu dessen Motiven tappt man an diesem Tag allerdings noch völlig im Dunkeln. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière teilt mit, vom Copiloten seien beim gegenwärtigen Stand der Nachforschungen keinerlei Verbindungen zum Terrorismus bekannt. Kanzlerin Angela Merkel spricht vor Journalisten von einer schier unfassbaren Tragödie, die „jedes Vorstellungsvermögen übersteigt“.

Staatsanwalt Robin kann vor den angereisten Familien wenigstens bestätigen, dass dank Vergleichen mit DNA-Proben der Hinterbliebenen an der Identifizierung gearbeitet werde. Am Donnerstag werden die Familien der Opfer per Bus in die Nähe der Unglücksstelle in den Bergen zwischen Digne-les-Bains und Barcelonnette gefahren.