: Die Wunde in der Geschichte
PASSION Mit dem Festival „Ein Osterfest“ widmet sich das Maxim-Gorki-Theater in der Karwoche dem Genozid an den Armeniern, dem vor 100 Jahren mehr als eine Million Menschen zum Opfer gefallen sind
Mit „Es schneit im April – eine Passion und ein Osterfest“ richtet das Maxim Gorki Theater anlässlich des Gedenkjahrs des Völkermords an den Armeniern vor 100 Jahren eine besondere Programmreihe aus. Mit zahlreichen Performances, Lesungen, Vorträgen, Filmen sowie Theaterstücken internationaler KünstlerInnen, die vom 2. bis 6. April auf auf ihre eigene Weise von der Geschichte der Armenier erzählen (Programm unter: www.gorki.de).
VON MARTHA FRANKEL
„Was gibt es noch zu erzählen?“, lautet der letzte Satz in Hans-Werner Kroesingers Theaterstück „Musa Dagh – Tage des Widerstands“, eines der Kernelemente des vom Maxim-Gorki-Theater ausgerichteten und über vierzig Tage andauernden Veranstaltungsreihe „Es schneit im April“. Mittels zahlreicher Portale nähert sich das Programm dem Genozid an den Armeniern, dem zwischen 1915 und 1916 schätzungsweise mehr als eine Million Menschen zum Opfer gefallen sind. Ein erschütternder Sachverhalt, eine erschütternde Zahl – ein nahezu totgeschwiegenes Thema ohne offizielle Anerkennung. Eine UN-Konvention zur Ächtung von Völkermorden ist seit 1951 aktiv, rückwirkend wird sie nicht angewandt. Die Türkei bestreitet, dass es je einen derartigen Vorgang gegeben hätte. Von Armeniern selbst wird er „Aghet“ genannt, „Katastrophe“.
„Was gibt es noch zu erzählen?“, das ist eine Frage, zu deren Beantwortung man in das noch bis zum 25. April währende Gorki-Programm schauen kann. Eine Ballung ist zum „Osterfest“ zu erwarten, das ungefähr in der Mitte von „Es schneit im April“ ausgerichtet wird, nämlich vom 2. bis zum 6. April. In ihm kommt nicht nur Hans-Werner Kroesingers Inszenierung, die auf Franz Werfels Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ von 1933 basiert, zur Aufführung. Es wird eine Mixtur aus Filmen und Filmgesprächen geben, zudem Performances, Lesungen und Diskussionen. Abends kann man Konzerten lauschen.
„Was uns wichtig war, ist, dass persönliche Geschichten und Erfahrungen zugänglich werden, sowohl zum Völkermord selbst als auch von der Geschichte zuvor und danach. Insofern kommen beim „Osterfest“ sehr viele Perspektiven zusammen. Es gibt über 50 Gäste, darunter Künstler, Wissenschaftler und Autoren. Die Idee war schon, dass man den Tag vielleicht mit einem Osterbrunch beginnt, den ganzen Tag bis in die Nacht hinein bleibt, Veranstaltungen besucht und dann mit einem Konzert abschließt“, sagt Shermin Langhoff, Intendantin des Maxim-Gorki-Theaters. Für die meisten Stationen des „Osterfests“ kann man Einlasskarten erwerben, sie belaufen sich auf einen Euro pro Stück, ein umfänglicher Besuch ist somit durchaus bezahlbar. Langhoff sagt: „Wir machen Kunst und wir machen politisches Theater und wir freuen uns über ein Publikum, dass sich dafür interessiert.“
An einer Aufarbeitung des Genozids an den Armeniern ist ihr persönlich gelegen. Ingo Arendt zitiert Langhoff in seinem Artikel zur Eröffnung von „Es schneit im April“, der auch hier in der taz erschienen ist, mit den Worten: „Von Jugend an begleitet mich der Völkermord als Wunde in der Geschichte.“ Anfang März fand im Deutschen Historischen Museums die Fachtagung „Zeuge eines Jahrhundertverbrechens – das Deutsche Reich und der Völkermord an den Armeniern.“ statt. Shermin Langhoff sprach auch hier.
Die Etablierung von Gesprächen ist ebenfalls Anliegen von „Es schneit im April“. Zum „Osterfest“ etwa, am Karsamstag, wird Levin Sargsyans einen Vortrag mit dem Titel „Deutschland und der Genozid“ halten, darauf folgt „Deutsche Verantwortung“, eine Debatte mit Jürgen Gottschlich, der aus seiner Erzählung „Mitschuld“ liest, ebenso wie Beiträge von Christin Pschichholz und Wolfgang Gust. Etwas früher, am Gründonnerstag, spricht Osman Okkan über die „Mordakte Hrant Dink“ unter der Verwendung von Filmbeispielen seines gleichnamigen Films. Der Journalist Hrant Dink wurde 2007 auf offener Straße erschossen, Dink engagierte sich gegen jegliche Form von Nationalismus.
Filmische Annäherungen zum Themenkomplex beinhaltet auch der Nachmittag und frühe Abend des Karfreitags, wenn Fatih Akin seinen Film „The Cut“ präsentiert und Atom Egoyan „Ararat“. Für beide Vorführungen ist ein Nachgespräch mit Knut Elstermann angesetzt. Nuran David Valis liest am selben Abend aus seinem Debütroman „Der Mond ist unsere Sonne“, in welchem der 1976 in Bielefeld geborene Sohn armenisch-jüdischer Einwanderer der Familiengeschichte von Alen nachspürt. Gleich zu Beginn des Romans sitzt dieser mit seinem Onkel auf einen Felsvorsprung und schaut auf den Berg Ararat: „Vor mir erhebt sich ein Berg. Neben ihm ein zweiter, kleiner. Der große Gipfel ist von Schnee bedeckt, der kleine nicht. Der Große, der Weiße, das ist der Ararat. Das ist der Berg unseres Volkes. Hier ist die Arche Noah nach der großen Flut gestrandet. Auf den Gipfeln des Araratgebirges. Aber heute liegen diese Berge nicht mehr in unserem Land. Berge gehören niemanden, egal welche Grenze man um sie zieht, denke ich.“ Es ist eine Perspektive von Dutzenden, die es während „Es schneit im April“ samt „Osterfest“ zu entdecken lohnt.
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