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Ein erster Schritt in Richtung Gleichstellung

AUSBILDUNG Das Hamburger Institut für berufliche Bildung hat an vier berufsbildenden Schulen ein Pilotprojekt gestartet, das die Ausbildung jugendlicher Flüchtlinge in Hamburg reformieren soll. Der Aufenthaltsstatus der SchülerInnen spielt dabei keine Rolle mehr

VON ANNA ULLRICH

Mittwochmorgen in einem Klassenzimmer in der Hamburger Sorbenstraße: 15 SchülerInnen lösen still und konzentriert Matheaufgaben – unter ihnen zwei Mädchen aus Somalia, ein paar Jungen aus Eritrea und Mahmoud, der aus Ägypten über Italien nach Deutschland geflüchtet ist. In seinem Heimatland hat der 16-Jährige bereits als Klempner und Taxifahrer gearbeitet. Seit November drückt er an der Beruflichen Schule für Recycling- und Umwelttechnik wieder die Schulbank.

Während die Anzahl minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge 2013 bei 485 lag, waren es 2014 laut eines aktuellen Berichts des Landesbetriebs Erziehung und Beratung 879, Tendenz steigend. Die meisten von ihnen sind zwischen 16 und 18 Jahre alt und gemäß Hamburgischem Schulgesetz schulpflichtig.

Bisher wurden jugendliche Flüchtlinge an Hamburger Berufsschulen je nach Aufenthaltsstatus in zwei Bildungsgängen getrennt voneinander und ausschließlich theoretisch unterrichtet. Das soll sich nun ändern: Das Hamburger Institut für berufliche Bildung (HIBB) hat ein Pilotprojekt gestartet, das deren berufliche Ausbildung reformieren soll.

An vier berufsbildenden Schulen wird das neue Lehrmodell „AV-M“ (Ausbildungsvorbereitung für MigrantInnen) getestet. „Langfristig muss angestrebt werden, dass jugendliche Flüchtlinge den SchülerInnen ohne Flüchtlingsstatus in Hinblick auf die Bildungsangebote, den Zugang zu Fördermaßnahmen und zum Arbeitsmarkt gleichgestellt werden“, erklärt Angela Homfeld, Sprecherin des HIBB.

Chancen durch Praktika

Das neue Konzept orientiert sich an der dualen Ausbildung in Berufsschule und Lehrbetrieb, wobei die jugendlichen Flüchtlinge zunächst statt der betrieblichen Ausbildung ein Praktikum machen sollen. Man hoffe dadurch auf einen „Klebeeffekt“, der die Chance auf einen Ausbildungsvertrag begünstigt, erklärt Klassenlehrer Hans Stoltenberg.

Joachim Schröder, Professor für Sozialpädagogik an der Universität Hamburg, berät das HIBB bei der Umsetzung des Konzeptes. Er hofft, dass die Ausbildung der Jugendlichen damit stärker individualisiert werden kann. Was die Jugendlichen belaste, sei, „dass man immer nur für das nächste Jahr mit ihnen plant“. Dabei sei es wichtig, dass man eine konkrete Perspektive für jeden einzelnen erarbeite und gemeinsam überlege, wie diese zu verwirklichen sei.

An einer Stellwand im Klassenzimmer haben die SchülerInnen mittlerweile ihre Berufswünsche gesammelt: Köchin, Krankenschwester, Tischler. „Manche sind sich sehr sicher in ihrer Berufswahl. Andere überdenken die Entscheidung immer wieder und zeigen damit, dass sie sich intensiv mit dieser Frage beschäftigen“, sagt Berufsschullehrerin Christine Ortmann, die die Klasse gemeinsam mit Hans Stoltenberg betreut.

Seit dem 23. März sollten die SchülerInnen eigentlich zwei Tage pro Woche im Betriebspraktikum sein. Doch kaum einE SchülerIn hat bisher einen Praktikumsplatz gefunden. Bei der Suche sind SchülerInnen und Schulen auf sich gestellt. „Wir stehen hier vor einer Herkulesaufgabe, die wir mit den verfügbaren Mitteln versuchen zu meistern“, sagt Andreas Beyerle, Schulleiter der Beruflichen Schule für Recycling- und Umwelttechnik. Dabei ist die Ausbildungsvermittlung deutlich einfacher geworden – vor allem im Handwerk.

Das hat zumindest Franziska Gottschalk, Projektleiterin beim freien Jugendhilfeträger „Basis & Woge e. V.“, festgestellt. Nur einen von 30 Asylsuchenden konnte sie im vergangenen Jahr nicht vermitteln. „Die Betriebe öffnen sich immer mehr für Jugendliche mit Förderbedarf und Sprachschwierigkeiten“, sagt sie. Ein Ausbildungsplatz habe zwar keinen unmittelbaren Einfluss auf den Aufenthaltsstatus der Jugendlichen, sei im späteren Asylverfahren jedoch hilfreich, wenn es um die Einschätzung ihrer Integration gehe.

Verspäteter Projektstart

Schulleiter Beyerle kritisiert, dass seine Schule sehr kurzfristig vor den Sommerferien über das Pilotprojekt informiert worden sei: „Jeder weiß doch, dass das Schuljahr am ersten August beginnt“, sagt er. Letztlich sei das Projekt dann doch erst drei Monate später gestartet, wodurch den SchülerInnen wichtige Lernzeit verloren gegangen sei. Das HIBB erklärt den verspäteten Start damit, dass erst im November alle 180 Schulplätze besetzt gewesen seien.

Auch die Stellen der betrieblichen IntegrationsbegleiterInnen, die die Jugendlichen als MentorInnen im Praktikum unterstützen sollen, seien vom HIBB viel zu spät ausgeschrieben worden, sagt Beyerle. Bei den Dingen, die „wirklich brennen“, müsse die Schule deshalb oft selbst nach Lösungen suchen, sagt er. Beispielsweise habe er kürzlich mit finanzieller Unterstützung des Hamburger Rotary Clubs Wörterbücher in den verschiedenen Muttersprachen der SchülerInnen angeschafft. Denn „viele Schüler sind im Deutschen noch sehr schwach“, sagt Hans Stoltenberg. Auf jedem Tisch im Klassenzimmer liegt nun ein dickes Lexikon.

Im Deutschunterricht erklärt der Klassenlehrer heute den Unterschied zwischen trennbaren und untrennbaren Verben. Die SchülerInnen sollen üben, das Wort „umsteigen“ zu konjugieren. „Ich umsteige“, „umsteigst“ – aus allen Ecken des Klassenzimmers rufen sie eifrig ihre Vorschläge. „Ausstieg links“, kommentiert Dzhesur das Ganze aus der letzten Reihe. Sein Berufswunsch: Fahrkartenkontrolleur.

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