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frühlingsrollen und die leiden des fortgeschrittenen alters von KARL WEGMANN

Sonne und Hefeweizen, Zigaretten und Uncle Tupelo – und ein bizarres Thema: Wir reden über Musicals. „Nee, nee, nee“, Hermann schüttelt sein spärliches Haupthaar, „ich meine, ich hab’s wirklich versucht, aber es haut einfach nicht hin.“ Er wurde gezwungen, sich „La Cage Aux Folles“ anzutun, hat aber in der Pause seine Mutter sitzen lassen. „Mein erstes Musical“, sagt er, „und es war ein absoluter Reinfall. Miese Musik, blöde Story, albernes Bühnenbild, unglaublich schlechte Sänger, aber komplett ausverkauft. Was soll der Scheiß, wie konnte es zu solchen Tumoren der westlichen Zivilisation kommen?“ Dann kippt er sein Bier auf ex. „Musicals sind Blender“, meint Willy, „ich hab’ auch mal eins gesehen, irgendetwas mit Katzen, nur Verpackung, kein Inhalt. Musicals sind wie Frühlingsrollen. Das Beste ist der knusprige Mantel, für den faden Gemüseinhalt brauchst du dann einen kräftigen Schuss Chilisoße, um ihn überhaupt runterzukriegen.“ Darüber denken wir kurz nach und füllen unsere Gläser. „Es liegt am Alter“, behauptet Bernd dann, „wenn du älter wirst, machst du Sachen, die du früher nicht mal wahrgenommen hast. So was wie Formel Eins gucken, Segelschein machen, Urlaub auf dem Bauernhof oder eben hundert Euro für einen Musicalbesuch ausgeben.“

„Was hat denn Segeln mit Musicals zu tun“, ereifert sich Willy, der gerade seinen Segelschein gemacht hat. „Na, die Jahre, die du auf dem Buckel hast“, erwidert Bernd. Es folgt eine hitzige Debatte über die Leiden des fortgeschrittenen Alters, die nur durch Hefeweizen gekühlt werden kann. Und dann kommt Konscho.

Uncle Tupelo versuchen gerade, uns mit einer akustischen Version von „Looking For A Way Out“ abzulenken, da steht er vor uns. „Wo kommst du denn her“, will Willy wissen, „ich versuche seit zwei Tagen, dich zu erreichen.“ – „Ich war in den Alpen“, antwortet Konscho etwas verlegen. Ungläubiges Staunen. „Na ja“, sagt er, „ich weiß auch nicht, früher waren Berge für mich nur etwas, durch das man durch oder über die man drüber musste, um ans Meer zu kommen. Aber vorgestern bin ich aufgewacht und wollte plötzlich unbedingt die Alpen sehen. Also hab ich mich ins Auto gesetzt, bin 700 Kilometer die A 7 runtergebrettert, und da waren sie dann.“ Er zuckt die Schultern und nimmt sich ein Bier. „Und, war’s schön?“, will Hermann wissen. „War toll“, grinst Konscho. Willy kann es immer noch nicht fassen: „Du hast dir nur die Berge angesehen, du bis nicht raufgestiegen oder so?“ – „Nö“, sagt Konscho, „ich hab’ sie nur angeschaut, mir dann in Immenstadt ein Zimmer genommen und nach dem Frühstück wieder auf die A 7 zurück.“ Wir schauen uns an und sagen im Chor: „Das Alter!“

Und so wurden wir dann auch an diesem Abend immer älter. Konscho erzählt von seiner neuen Leidenschaft, den Bergen, Willy vom Segeln, Bernd gibt zu, Formel Eins zu gucken, und Hermann erklärt alle für bescheuert. Man einigt sich darauf, dass sich der Geschmack im Alter verändert, aber dass es auch gewisse Grenzen gibt: Musicals sind eindeutig feindliches Territorium und bleiben es auch.

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