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■ Antje Vollmer: Die Sicherheitsbehörden wollten keine politische Lösung, sie wollten einen FahndungserfolgDie Kinkel-Initiative und das Desaster von Bad Kleinen

Manchmal hilft es weiter, sich einfach in die Lage derer zu versetzen, die man schwer versteht. Nachdem das Rätsel Bad Kleinen nun schon die intelligentesten Kriminalisten und findigsten Journalisten ergebnislos beschäftigt hat, scheint es versuchsweise erlaubt, einmal anders an die Sache heranzugehen. Da die großen dämonisierenden Erklärungen – als da sind: eiskalter Mord (wie in Stammheim) oder bösartiger Selbstmord (auch wie in Stammheim), Staatsterroristen oder kaltblütige Polizistenkiller, verbrannter Super-Spitzel oder Lachnummer des Jahrzehnts – inzwischen alle ein bißchen schal im Mund schmecken, kann man ja mal versuchen, mit der Logik zu arbeiten, welche die Alltagserfahrung anbietet.

Mir zum Beispiel fällt auf, daß die verschiedenen Versuche des V-Mannes Klaus Steinmetz, Kontakt zur Kommando-Ebene der RAF zu gewinnen, unglücklicherweise fast zeitgleich mit der Kinkel-Initiative abliefen. Im Herbst 1991 fanden mit der Bundesanwaltschaft erste Überlegungen für die konkrete Ausgestaltung der Kinkel-Initiative statt – im Oktober/November 1991 trifft Steinmetz zum ersten Mal Mitglieder der RAF in Metz. Am 6. Januar redet Klaus Kinkel auf dem Dreikönigstreffen der FDP über ein Angebot zur „Versöhnung“ – Anfang Februar 1992 trifft Steinmetz Birgit Hogefeld in Paris. Im April 1992 reagiert die RAF auf die Kinkel-Initiative, indem sie eine „Rücknahme der Gewalt“ ankündigt – im August 1992 trifft Steinmetz in Boppard zum dritten Mal RAF-Mitglieder, diesmal wieder Birgit Hogefeld, und bald darauf sind sich seine Führungsoffiziere beim Verfassungsschutz sicher, daß sie einen Fisch im Netz haben, der ihnen Ruhm und Ehre verheißt. Diese Zeitparallele festzustellen könnte zu dramatischen Interpretationen verleiten, wie sie in manchen Szenen beliebt sind (nach dem Motto: Aha, so ist das also, Klaus Steinmetz war der eigentliche Kern der Kinkel-Initiative!) – und die Welt wäre wieder in der altbekannten Schweine-Ordnung. Aber auch die weniger aufgeregte Variante beim Interpretieren dieser schlichten Zeitnotiz legt den Schluß nahe, daß ein tatsächlicher Zusammenhang zwischen den fortschreitenden Erfolgsaussichten des V-Mannes Klaus und der fortschreitenden Stagnation der Kinkel-Initiative seit Anfang des Jahres 1992 besteht, wenn auch ganz anderer Art. Dieser Zusammenhang ließe sich etwa so beschreiben: Je weiter der V-Mann kam, um so weniger notwendig erschien den Sicherheitsorganen eine politische Lösung. Und daß das Interesse der zuständigen Behörden an der Kinkel-Initiative tatsächlich von Monat zu Monat sank – was nach der erstaunlichen Antwort der RAF um so befremdlicher erschien – den Eindruck hatten alle seit geraumer Zeit, die damit näher befaßt waren, ohne sich darauf wirklich einen Reim machen zu können.

Die Kinkel-Initiative war und ist der Versuch einer politischen Lösung des Terrorismus-Problems, die mit den Strategien der Sicherheitsbehörden nichts zu tun hat. Sie setzt schlicht auf die Tatsache, daß der Terrorismus historisch „überholt“ ist, da seine Ursachen, sein Pathos, seine Methoden aus einer verflossenen Epoche stammen und mit ihr auch, bei einiger Vernunft, zu beenden wären. Faktisch aber – als unbeabsichtigter Nebeneffekt – mußte ein Dialog- Versuch mit der RAF von Anfang an als reiner Angriff auf die Raison-d'etre all der Institutionen erscheinen, die bis dahin mit der Verfolgung der terroristischen Straftaten befaßt waren. So war das Bundeskriminalamt erst durch die Terroristenverfolgung unter seinem damaligen Leiter Horst Herold zum Vielfachen seiner ursprünglichen Größe aufgebläht worden, die GSG 9 verdankte dem Terrorismus ihren legendären Ruf einer omnipotenten Polizei-Elitetruppe, die Bundesanwaltschaft ihre besondere Aura, der Verfassungsschutz einen nicht unerheblichen Stellenausbau und eine Daueraufgabe. Niemand darf die Kränkung verkennen, die allein in der Tatsache lag, daß es all diesen Behörden über die Jahre hinweg nicht gelungen war, einen eigenen Fahndungserfolg aus der zweiten und dritten Generation der RAF zu verzeichnen. Diese Kränkung ging, wie unbeabsichtigt auch immer, natürlich auch von der Kinkel-Initiative aus, gewann diese doch an Attraktivität nicht zuletzt dadurch, daß sie sich als einzige lösungsorientierte Alternative zu den bisher ausbleibenden Fahndungserfolgen darstellen konnte.

Je weniger man dämonisiert, um so einfacher ergibt sich ein Sinn aus dem ganzen unverständlichen Geschehen um den V-Mann Klaus. Der Mann war einfach die Rettung für die Sicherheitsbehörden, der Ausweg aus einer andauernden Niederlage, ein Stück Wiedergutmachung für die Dauerkränkung der eigenen Erfolglosigkeit. Das muß nicht heißen, daß beispielsweise der BKA-Chef und der Generalbundesanwalt die Kinkel-Initiative bewußt bekämpft oder hintertrieben hätten, es reichte schon, daß sie die Ahnung einer Hoffnung hatten, auch anders zum Ziel zu gelangen, um genügend Langsamkeit und Desinteresse für den Verlauf der Kinkel- Initiative zu produzieren – bis diese ganz ins Stocken geriet.

Verständlich wird allerdings unter diesem Aspekt auch das Gedrängel, das entstand, als alle am vermeintlichen Erfolg, dem langersehnten, beteiligt sein wollten. Das kleine SPD-regierte Rheinland-Pfalz („immer noch ein wenig gekränkt darüber, daß sein kleiner Dienst in der großen Welt der RAF-Fahnder nicht für voll genommen wurde“ — so Die Woche) wollte ausgerechnet im Thema Innere Sicherheit ganz groß punkten und denen in Bonn und Wiesbaden mal zeigen, „wie man das so macht“ – und wurde dabei selbst vom Kölner Bundesamt für Verfassung gegenkontrolliert. Das BKA blieb vor und nach Bad Kleinen in heftigstem Kompetenzgerangel mit der Bundesanwaltschaft. Die GSG 9 wollte natürlich auch mittun, so daß selbst der unglückliche junge Beamte Newrzella deswegen seinen schon geplanten Urlaub absagte. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie unter Strom gesetzt die Stimmung in den verschiedenen Zentralen vor dem Großeinsatz von Bad Kleinen war: jetzt endlich zeigen zu können, daß man sein Handwerk verstand, allen Schmähungen zum Trotz ...

Diese aus einem Gefühl der Minderwertigkeit gewachsene Übereifrigkeit muß zum Verständnis der Ereignisse an jenem verhängnisvollen 27. Juni ebenso erwähnt werden wie der Druck vor Ort, alle Behörden gleichzeitig am langersehnten Erfolg zu beteiligen.

Keiner weiß, wie es war, aber es könnte dann so gewesen sein: „Sehr wahrscheinlich ist, daß die beiden Toten auch auf die Rechnung (einer) fatalen Verwechslung gehen“, schrieb die Woche und rekonstruierte die Fahndungspanne als folgenschwere Verwechslung der beiden Männer im Tunnel, des V-Mannes, der unbedingt als Lockvogel entkommen sollte, und des Terroristen, der verhaftet werden mußte. Gerade die Kooperation der unterschiedlichen Behörden, alle unter extremem Erfolgszwang, muß zu Verständigungsschwierigkeiten geführt haben. Druck, Kompetenzgerangel und Geheimniskrämerei, dazu die ungenaue Parole: Einer soll entkommen, der unbekannte V-Mann, den am besten keiner zu Gesicht bekommen sollte – das alles mußte die beteiligten Beamten rettungslos verwirren, deswegen verbot sich die Verhaftung im abgeschlossenen Raum der Kneipe, deswegen mußte auch aus Tarngründen wild herumgeballert werden in der Unterführung, um keinen Verdacht bei den zu verhaftenden Hogefeld und Grams aufkommen zu lassen. Gerade diese Flucht sollte ja den V-Mann mit allen Sicherheitsorganen im Schlepptau todsicher zu den anderen RAF-Leuten führen, und dann wollte man dem ganzen Spuk ein Ende machen ... Und plötzlich fängt dieser vermutete, von allen sorgsam verschonte V-Mann, der in Wirklichkeit Wolfgang Grams ist, an, gezielt zurückzuschießen, und tötet einen Beamten, einen Kollegen, einen Freund ...

Was wird nun aus der Kinkel- Initiative? Was wird daraus, nachdem die Kränkung des Mißerfolgs nach alledem noch einmal dramatisch gesteigert worden ist? Herr Kanther, so hört man, will sich „mit Verbrechern nicht versöhnen“. Ach ja? Das ist, was es schon immer war: dummes Gerede, uninformiertes Gewäsch, intellektuell bei einem Minister des Inneren nicht erlaubte Ignoranz. Diese schlichte Denkungsart, die so bieder-rechtschaffen daherstolziert, hat vermutlich vier Menschen, die noch leben könnten, das Leben gekostet: Alfred Herrhausen, Detlef Carsten Rohwedder, Michael Newrzella und Wolfgang Grams.

Seit 1989 war ein gewaltfreies, politisches Ende des deutschen Terrorismus möglich — alle Verantwortlichen wissen das. Es waren immer diese unerträgliche Dumpfheit, dieses sprachstilistische Geprotze, die alles verspielt haben.

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