Annahita Esmailzadeh im Interview : „Sexistisches Verhalten spiegeln!“
Wie stoppt frau 75-minütige Männer-Monologe? Annahita Esmailzadeh über ihre Erfahrungen als IT-Spitzenmanagerin.
taz FUTURZWEI: Als Sie in ein Meeting reinkamen, bestellte ein Mann bei Ihnen einen Kaffee. Der Stereotyp-Klassiker: Er hielt Sie für die Praktikantin. Lassen Sie solche Typen runterlaufen, Frau Esmailzadeh?
Annahita Esmailzadeh: Sowas passiert mir schon, seitdem ich arbeite, mit zunehmendem Alter wird es weniger. Ich reagiere super offensiv und sage: »Ähm, ich hätte auch Lust auf einen Kaffee. Kannst du mir einen mitorganisieren?« Mein Tipp ist, deplatziertes oder sexistisches Verhalten einfach zu spiegeln oder sich dumm zu stellen.
Die Frau
Annahita Esmailzadeh, 30, leitet das Customer Success-Management bei Microsoft Deutschland. Davor war sie Head of Innovation des SAP Labs in München. Außerdem LinkedIn-Influencerin, Key-Speakerin und Buch-Autorin. Sie hat Wirtschaftsinformatik studiert.
Das Buch
Von Quotenfrauen und alten weißen Männern. Schluss mit Vorurteilen in der Arbeitswelt. Campus 2023 –240 Seiten, 22 Euro
Wie geht das?
Einfach sagen: »Wie kommst du auf die Idee, dass ich für den Kaffee zuständig bin?« Frauen sind so sozialisiert, dass sie Konflikten aus dem Weg gehen, um bloß nicht wieder zickig oder unbequem zu wirken. Ich bin ganz direkt.
Was ist das zentrale Vorurteil gegen Sie?
Ich bin zu jung für eine Führungsposition und mein äußeres Erscheinungsbild passt eher in die Marketingabteilung und nicht in den Tech-Bereich. Und dann habe ich auch noch einen Migrationshintergrund. Es gibt viele Schubladen für mich.
Was bedeutet das für Sie?
Stichwort Intersektionalität: Unterschiedliche Diskriminierungsformen addieren sich nicht einfach, sondern können sich bedingen und verstärken. Ich weiß oft nicht, welches meiner Merkmale, dass von der vermeintlichen Norm der Mehrheitsgesellschaft abweicht, ein deplatziertes Verhalten meines Gegenübers bewirkt. Das müssen wir im Hinterkopf behalten, wenn wir uns mit Diskriminierung und mit Vorurteilen beschäftigen.
Wie kamen Sie trotz dieser ganzen Vorurteile früh in Führungspositionen?
In den allermeisten Fällen kann man Vorurteile und Schubladendenken aus dem Weg räumen, wenn man seine Kompetenzen demonstriert.
Wirklich?
»WIE KOMMST DU AUF DIE IDEE, DASS ICH FÜR KAFFEE ZUSTÄNDIG BIN?«
Annahita Esmailzadeh
Gut, bei manchen Menschen klemmen die Schubladen einfach. Ich bin auch schon gegen verschlossene Türen gelaufen, aber ich habe mich dann nicht davorgelegt und resigniert, sondern weitergemacht. Solche Erfolgsgeschichten sind möglich. Die Strukturen müssen sich trotzdem ganzheitlich ändern. Wir können nicht erwarten, dass Menschen Diskriminierung einfach aushalten.
Der liberale Imperativ besagt, dass mit harter Arbeit alles möglich ist?
In der Realität ist die soziale Mobilität in Deutschland stark eingeschränkt. Man kann also nicht alles schaffen, nur weil der tiefe intrinsische Wille da ist. Das zeigen Zahlen, Daten und Fakten. Die ausschlaggebenden Faktoren des Erfolgs sind das Kapital des Elternhauses, Bildungsnähe, das Netzwerk und ganz wichtig, und oftmals unsichtbar, der alles entscheidende Habitus, das Auftreten und die Umgangsformen.
Warum stellen die meisten Leute Mini-Mes ein, also jüngere Leute, die sie an sich selbst erinnern?
Das Ähnlichkeitsprinzip besagt, dass Menschen eher diejenigen fördern, fordern und einstellen, die ihnen selbst ähneln. In Bewerbungsprozessen fängt das beim Aussehen an und endet mit den Hobbys. Arbeiterkindern geht der Smalltalk übers Skifahren oder Golfen nicht so leicht über die Lippen. Auch wenn sie sich hochgearbeitet haben, fehlt ihnen damit häufig der Stallgeruch, der notwendig ist, um es in die Top-Führungskreise zu schaffen.
Was haben Sie beim Schreiben Ihres Buches über sich gelernt?
Dass auch ich in Schubladen denke und wie selten es mir bewusst ist. Der einzige Weg, um Vorurteile abzulegen, ist sie anzuerkennen. Dann kann ich die Schubladen offenlassen und sie ausmisten, also reflektieren: Welche Menschen stecke ich in meine Schubladen? Dann muss ich mich mit meinen Vorurteilen konfrontieren: einen Kaffee mit der nervigen Kollegin trinken oder mit dem Nachbarn, vor dem ich grundlos Angst habe. Dann kann ich rausfinden: Habe ich diese Abneigung oder Angst nur aufgrund meiner sozialen Prägung?
Sie fühlen sich als Boomerin, obwohl Sie Millennial sind. Warum das denn?
Die Welt muss wieder schön werden
Wer Ernst machen will, muss verstehen, warum wir nicht gegen die Klimakrise handeln, obwohl wir alles wissen: Ohne Kulturwandel kein Weltretten.
Wir machen Ernst III, Schwerpunkt: Kultur
Mit Annahita Esmailzadeh, Arno Frank, Esra Küçük, Ricarda Lang, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Luisa Neubauer, Robert Pfaller, Eva von Redecker, Claudia Roth, Ramin Seyed-Emami und Harald Welzer.
Ich habe schon immer unfassbar viel und gerne gearbeitet. Ich habe nie ein Gap Year oder Sabbatical gemacht. Ich mache nicht mal Workation.
Also nicht mal eine Mischung aus Arbeit und Urlaub?
Mein Credo ist: Von nichts kommt nichts. Den ausgeprägten Arbeitsethos würde man eher der Babyboomer-Generation attestieren, aber auch das ist wieder nichts anderes als Schubladendenken.
Die Work-Work-Balance ist in der Generation Z angeblich out. Work-Life-Balance ist in. Was machen Sie als gefühlte Boomerin, wenn sich ein Gen Z bei Ihnen bewirbt?
Bei einem Gen-Z-Bewerbungsgespräch habe ich manchmal das Gefühl, ich sei die Bewerberin und nicht andersrum. Als Führungskraft muss man sich darüber bewusst sein, dass die jungen Menschen auf einen Arbeitsmarkt kommen, in dem sie ganz hart umkämpft sind. In der Konsequenz kommt die Gen Z mit einem ganz neuen Selbstvertrauen daher. Ich sehe es als Chance, dass diese Generation vieles infrage stellt. Es ist legitim, viel zu fordern. Aber dann muss auch abgeliefert werden.
2017 gab es mehr alte weiße Männer, um Ihren Buchtitel zu zitieren, mit dem Namen Thomas in Führungspositionen als Frauen. Wie ändert sich das?
Ich versuche mit meinem Buch zu zeigen, dass es nichts bringt, den Mann mit diesem ewiggestrigen Klischee des Patriarchen zu assoziieren. Im gleichen Zuge müssen wir hinterfragen, wie es zur gläsernen Decke kommt. Die Topmanagement-Etagen sind nach wie vor männlich und in jeder Hinsicht homogen. Wenn wir das Ganze aufbrechen wollen, ist es wichtig, dass wir für mehr Diversität von oben sorgen. Und daher bin ich inzwischen klare Befürworterin einer Quote.
Wann ist ein Team divers?
Es ist nicht automatisch divers, nur weil es aus fünf Frauen und fünf Männern besteht. Sondern wenn die zehn Menschen auch verschiedene soziale und akademische Hintergründe haben, verschiedene sexuelle Orientierungen, ethnische Herkunft und Alter. Oder auch ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten sich unterscheiden. Viel zu oft beschränken wir uns bei unseren Diskussionen über mehr Vielfalt ausschließlich auf die Geschlechterdimension.
»ICH BIN ZU JUNG FÜR EINE FÜHRUNGSPOSITION, MEIN ÄUSSERES PASST EHER IN DIE MARKETINGABTEILUNG. UND DANN HABE ICH AUCH NOCH EINEN MIGRATIONSHINTERGRUND. ES GIBT VIELE SCHUBLADEN FÜR MICH.«
Annahita Esmailzadeh
Lohnt sich Diversität auch unternehmerisch?
Diverse Teams können unfassbar unbequem sein. Homogene Teams finden schneller einen Konsens und haben seltener Konflikte. Aber damit ist auch die Gefahr viel höher, dass wichtiges Innovationspotenzial übersehen wird. Diversität sollte immer das Ziel sein. In einigen Bereichen kann es aber sinnvoll sein, wenn Teams eher homogen aufgestellt sind.
Zum Beispiel kann es in einem Team von ABAP-Entwicklern – das steht für Advanced Business Application Programming – völlig sinnvoll sein, wenn die alle ähnlich ticken. Wenn ich aber ein neues Produkt mit unterschiedlichen Zielgruppen launchen will, dann ergibt es Sinn, dass aus unterschiedlichen Blickwinkeln anzugucken. Und deswegen sollten wir dieses ganze Thema aus meiner Sicht sehr differenziert betrachten.
LinkedIn wird als Plattform immer wichtiger. Sie gehören dort zur neuen Kategorie der Business-Influencer. Wie kam es dazu?
Das war random. Ich war eigentlich die klassische passive Nutzerin, die noch nicht mal was geliked hat. Als Kurzschlussreaktion habe ich dann einmal etwas über einen Kollegen gepostet, der die wirklich nervige Eigenschaft hatte, Frauen ständig ins Wort zu fallen. Ich konnte nie einatmen, ohne dass er mir ins Wort gefallen ist und seinen Monolog gestartet hat. Einmal ging so ein Monolog 75 Minuten. »Ich bin noch nicht fertig« habe ich da auf einen Zettel geschrieben, ihn mir vors Gesicht gehalten und das gepostet. Dieser Beitrag wurde dann, aus welchem Grund auch immer, von der LinkedIn-Redaktion erkannt und ging viral.
Hat das bei Ihrem Kollegen geholfen?
Ja, für zwei Wochen.
Welches Buch von jemand anderem hat Sie zuletzt vorangebracht?
Meine Kollegin Magdalena Rogl hat das Buch Mitgefühl geschrieben. Das ist ein sehr, sehr schönes Buch, weil es Emotionen und Mitgefühl im Arbeitskontext enttabuisiert. Denn wir sind keine Maschinen.
Interview: PAULINA UNFRIED
Dieser Beitrag ist im September 2023 im Magazin taz FUTURZWEI N°26 erschienen.