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Altlinker "Produktivkraft- fetischismus"

■ betr.: "Unbeschreibliche Hartnäckigkeit", taz vom 17.4.90

Betr.: „Unbeschreibliche Hartnäckigkeit“, taz v. 17.4.90

Wenn Leute vom Schlage Jo Müllers, die längst ihren Frieden mit Kapitalismus und Patriarchat geschlossen haben, über Theoretiker vom Range Sohn-Rethels schreiben, dann dreht sich mir der Magen um. In der Tat liefert Sohn-Rethel eine Fundametalkritik von Denkform und Warenform im Kontext kapitalistischer Gesellschaften; und es ist auch richtig, daß diese Analyse geeignet wäre, jeden altlinken „Produktivkraftfetischismus“ ad absurdum zu führen - wenn sie denn konsequent durchgeführt wäre! Ist sie aber nicht, hat doch der Meister selbst noch bis in die 80er Jahre hinein ausgerechnet die sich im Monopolkapital heranbildende Arbeitsorganisation als embryonale Vorform sozialistischer Verkehrsformen „gewürdigt“ - eine These im Geiste tiefster Produktivkraftgläubigkeit, die er erst in der Auseinandersetzung mit G. Brandt zurückgenommen hat, ohne sie freilich durch etwas Besseres zu ersetzen. Was nach diesem Widerruf blieb, war eben die o.g. Fundamentalkritik am Tauschverhältnis, auf dessen Basis keine humane Gesellschaftsordnung errichtet werden kann. Und nun reklamieren ausgerechnet „realpolitische“ Phantasten a la Jo Müller, die überall die heranreifende „ökologische Marktwirtschaft“ verkünden, das Werk dieses Mannes für sich. Es ist zum Kotzen!

Apropos „Mann“ und „Zum Kotzen“: wenn Jo Müller „den Menschen Sohn-Rethel“ beschreiben will, dann fällt ihm natürlich auch nichts anderes ein, als den greisen Wissenschaftler mit süffisantem Lächeln als Frauenheld zu stilisieren - einfach widerwärtig! - Und schließlich und endlich: die differenzierte Auseinandersetzung in der 'konkret‘ über das Verhalten Sohn-Rethels im deutschen Faschismus als Rufmordkampagne des „stalinistischen Teil(s) der deutschen Linken“ abzuqualifizieren, verdeutlicht das intellektuelle Niveau des Jo Müller so nachhaltig, daß sich hierzu jede Kommentierung erübrigt. Der taz bliebe zu raten, bei der Auswahl ihrer AutorInnen etwas sorgfältiger zur verfahren, damit uns Peinlichkeiten von der Art dieses „Nachrufs“ künftig erspart blieben.

Heinz-Jürgen Stolz, Trier

(...) Man ehrt einen Wissenschaftler, der diesem Namen gerecht wird, nur durch fundierte Kritik. Wenn Nachrufe die Tendenz haben, zu loben - das Falsche nimmt er mit ins Grab

-, dann ehren seine Freunde in Wirklichkeit nur sich selbst, die wissenschaftliche Seite des Toten wird dadurch erst recht begraben. So auch bei Sohn-Rethel, dessen eigentliche Leistung seine materiale Faschismusanalyse ist. Seine theoretische Generalthese jedoch, aus den Formen des Warentausches entstehe das rationale Denken, „die Logik ist das Geld des Geistes“, ist selbst unlogisch, weil es ein Sprung von einer Ebene auf eine wesentlich andere ist. Die Kritik dieses Fehlschlusses findet sich schon beim Begründer der Logik, Aristoteles. Und der biblische Schöpfungsmythos, auf seinen rationalen Kern gebracht, war auch schon weiter als diese Generalthese, denn die creatio ex nihilo, d.h. also die Spontaneität des menschlichen Denkens, ist der unbestimmbare Grund von Denkformen. Soziale Verhältnisse sind bestenfalls notwendige Bedingungen, nie aber hinreichender Grund von Erkenntnissen. die eigentliche Leistung des „Marxisten“ Sohn-Rethel, der den Kern der Marxschen Theorie, die „Arbeitswertlehre“, als metaphysisch glaubte denunzieren zu müssen, war diese Verwirrung der Realformen mit den Denkformen. - Die sich daran entzündende Kritik enthüllte immerhin einen wichtigen Aspekt des Marxschen Werkes. Man ehre den Toten also in seinen produktiven Fehlern und lobe ihn nicht schon deshalb, weil Flachniveaufanatiker ihn kritisierten.

B. Gaßmann, Garbsen - Inh. d. Zeitschr. f. materialistische Ethik 'Erinnyen‘

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