Ägypten und das Kriegsende in Europa: Ein abgehalfterter König und Sympathien für Rommel
■ taz-Serie: Was am 8. Mai 1945 außerhalb Europas geschah
Onkel Kamal zog sich an, trank seine erste Tasse arabischen Mokka und machte sich auf den Weg zur König-Fuad-Universität in Kairo. Es war ein ganz normaler Morgen, und von den großen Ereignissen des 8. Mai 1945 in Europa sollte der damals 23jährige später aus der Zeitung erfahren.
Daß sich mein Onkel, der sonst in aller Liebe zum Detail seine historischen Erinnerungen preisgibt, kaum an diesen Tag erinnern kann, ist symptomatisch für das ägyptische Verhältnis zum Kriegsende. Für die Ägypter blieb der Zweite Weltkrieg letztlich ein europäischer Krieg. Und daß, obwohl drei Jahre vor Kriegsende die ägyptische Wüste zum Kriegsschauplatz geworden war. Italienische Truppen und das deutsche Afrikakorps unter General Rommel hatten versucht, gegen den Widerstand der britischen 8. Armee von Libyen aus vorzustoßen.
Die britischen Kolonialherren zögerten, die ägyptische Armee in die Kämpfe einzubeziehen. Ein Teil des Offizierskorps sympathisierte mit den Deutschen, die vor ihren Augen bewiesen, daß die Briten verwundbar waren. Sympathien wurden nach dem Motto vergeben: „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. In Kairo skandierten die Menschen: „Vorwärts, Rommel!“
Der wurde in der Schlacht um El-Alamein Ende 1942 endgültig geschlagen, womit nach ägyptischem Gefühl der Krieg erledigt war. Symbolisch erklärte die ägyptische Regierung noch wenige Wochen vor Kriegsende, am 26. Februar 1945, den Achsenmächten offiziell den Krieg.
Die Bevölkerung hatte ohnehin andere Sorgen. Durch die britische Kriegswirtschaft war es in Kairo wiederholt zu Versorgungsengpässen gekommen. Im Winter 1942 stürmten die Menschen in den Armenvierteln die Bäckereien. Die Auseinanderset-
zung zwischen den antikolonialen Parteien und dem König hatte sich zunehmend verschärft. Radikale Gruppen wie die Muslimbrüder machten durch politische Morde von sich reden. Eine Gruppe junger Offiziere beschäftigte sich damit, wie sie König Faruk und die Briten endgültig loswerden könnten.
Der wichtigste Effekt des Kriegsendes war dann für die ÄgypterInnen auch nicht die Niederlage des deutschen Nationalsozialismus, sondern die Tatsache, daß die Tage des britischen Empires gezählt waren. Während sich Onkel Kamal nicht so recht an das Kriegsende erinnern mag, sieht er die Ereignisse am 25. Januar 1952 vor sich, als seien sie gestern geschehen. Britische Truppen erschossen an diesem Tag in Ismailia am Sueskanal ägyptische Polizisten. Sie hatten angeblich mit der ägyptischen Guerilla zusammengearbeitet, die den Briten seit Wochen zu schaffen machte. Daraufhin sah Onkel Kamal Kairo brennen. Aufständische zündeten britische und ausländische Einrichtungen an. Das Sheephart-Hotel, Lieblingstreff britischer Offiziere, brannte bis auf die Grundmauern ab. Ein großer Teil der modernen Innenstadt stand in Flammen.
Wenige Monate später war es dann soweit: Die Freien Offiziere unter Gamal Abdel Nasser putschten und traten anschließend mit den Briten in Abzugsverhandlungen.
Es sollte aber noch ein weiteres Jahrzehnt dauern, bis britische Truppen nach der Verstaatlichung des Sueskanals zu ihrem letzten kolonialen Abenteuer am Nil aufbrachen und in Zusammenarbeit mit Israel und Frankreich die Kanalzone wiedererobern wollten. Von den Amerikanern und der Sowjetunion zurückgepfiffen, endete dieser Versuch mit einer Niederlage. Karim El-Gawhary
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