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Tä-tää! Endlich ist sie da: Die FastenzeitAb sofort wird jeden Tag Karboval gefeiert

Wir retten die Welt

von Bernhard Pötter

Vielleicht lag es am schlichten Essen (Pellkartoffeln mit Quark), vielleicht am letzten Tag des Karnevals, den wir nicht feiern. Plötzlich war das Thema Fastenzeit auf dem Tisch. „Und? Was lässt du weg?“, fragte meine Tochter. Sie selbst will für die nächsten Wochen auf Fleisch verzichten. „Alkohol“, sagte ich als Fan von alkoholfreiem Bier. „Rauchen“, meinte meine Frau, ewige Nichtraucherin. „Autofahren“, murmelte unser 17-jähriger Sohn ohne Führerschein. „Pilze, Tofu und Zucchini“, zählte unser Jüngster auf, der sich eigentlich nur von Spaghetti ernährt. „Und Mathe.“

Sie sehen: Wir haben eine dialektische Haltung zum Fasten. So wie alle. Denn an Aschermittwoch ist gar nicht alles vorbei. Die große Heuchelei geht erst richtig los. Sechs Wochen keine Schokolade, kein Fernsehen, ein bisschen Frieden. Und dazu liegt die neueste Low-Carb-Diät oder Paläo-Ernährung voll im Trend: Fasten, sparen, geizen, dass es nur so kracht.

Als die Fastenzeit erfunden wurde, war sie bitterer Ernst. Karne-val hieß wirklich „Fleisch ade“ und kündigte vegane Wochen an, die nicht von peruanischem Hochlandquinoa angereichert wurden. Die Menschen sparten und hungerten, um Lebensmittel für das große Fest an Ostern zu sparen. Aber auch, um für ihre echten oder vermeintlichen Sünden zu büßen. Da musste vorher beim Karneval noch mal kräftig die Sau rausgelassen werden.

Heute steht die Sau sogar bei Bio-Heiligen im engen Gatter. Und auf jeder noch so kleinen Durststrecke werden gekühlte Getränke gereicht. Karneval ist nur ein weiterer Anlass nach Weihnachten und Halloween, ordentlich einen draufzumachen. Heute gibt es Heilfasten oder Fastenwandern, aber eine echte Hungerzeit kriegen nicht einmal die angeblichen Verteidiger des christlichen Abendlandes hin. Fastende Menschen begegnen uns nur noch als Moslems im Ramadan.

Dabei brauchen wir nichts dringender als eine echte Fastenzeit. Für diese Erkenntnis muss man gar nicht seinen Body-Mass-Index anschauen. Sondern einfach mal wieder die Symptome eines heißgelaufenen Wirtschaftssystems wahrnehmen: CO2-Emissionen, Wasserverbrauch, strahlende Müllberge, leergefischte Meere, hungernde Menschen. Wir feiern seit hundert Jahren volle Pulle Rosenmontag und schieben den Aschermittwoch immer auf übermorgen. Diese Party unserer sogenannten Zivilisation geht auf Kosten von Kindern und Armen. Sie kennen alle diese Argumente.

Ab sofort sollten wir also jeden Tag Karbo-val feiern und (okay, wieder mal) den Abschied vom Kohlenstoff ausrufen. Richtig Verrückte könnten sogar den Kapitalo-val begehen, müssten dann aber echt knallige Ideen und nicht das Feuerwerk vom letzten Jahr mitbringen. Das alles wäre nicht neu, aber auch beim Fasching hat es jedes Kostüm schon mal gegeben. An der stoischen Unbeirrbarkeit der Jecken angesichts von Terror und Tornados sollten sich alle ein Beispiel nehmen, die die Verhältnisse und die Nachbarn zum Tanzen bringen wollen. Einfach immer weitermachen. Und dabei auch noch Spaß haben!

Wir wissen auch, wie das geht. Unser Wort dafür ist aber schrecklich kostümiert und heißt „Suffizienz“ statt „Verzicht“: Einfach mal nichts tun, einfach mal weniger wollen, einfach mal die Klappe halten. Wir sollten ab sofort eine fröhliche Fastenzeit ausrufen, die Entschlacken zum Lifestyle macht. Vielleicht würden wir mit einem permanenten Karboval ja wirklich unsere Zuvielisation verändern. Nötig wäre es. Wer das nicht sieht, muss jedenfalls ein echter Narr sein.

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