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Archiv-Artikel

AUF KULINARISCHER ENTDECKUNGSTOUR IN NEUEN RESTAURANTS UND SEITENFLÜGELWOHNUNGEN Licht, Luft, eigene Gärten – und zum Schluss eine köstliche Zucchiniblüte

VON CRISTINA NORD

Auf die Vergnügungsvielfalt des Wochenendes – CSD, Fête de la musique, Deutschland – Ghana auf jedem Flachbildschirm – reagiere ich ein wenig wie Bartleby: Ich möchte lieber nicht.

Stattdessen besuche ich ein Gartenfest von Freunden. Sie wohnen dort, wo die Straßen nach Widder, Steinbock, Krebs und Einhorn benannt sind. Eine S-Bahn-Trasse, Schrebergärten und eine Hochhaussiedlung umschließen diesen Winkel von Neukölln, die Reihenhäuser hat der Architekt Reinhold Kiehl vor seinem Tod 1913 entworfen, angetrieben von dem Gedanken, dass Arbeiter Licht, Luft und Platz verdienen und außerdem einen eigenen Garten brauchen, um sich mit Gemüse zu versorgen. Errichtet wurde die Siedlung nach Kiehls Tod von Josef Zizler, heute steht sie unter Denkmalschutz.

Während ich hinfahre, denke ich, wie großartig es ist, dass Berlin so viele Gegenden hat, die ich nicht oder nur kaum kenne oder im Lauf der Jahre aus den Augen verloren habe. Auf dem Hinweg radele ich die Weserstraße in ganzer Länge herunter, vorbei an der Rütli-Schule, die vor langer Zeit mal berüchtigt war. Mir fällt ein, dass ich hier eine Hausärztin hatte, weil ich nicht weit entfernt, in der Sonnenallee, wohnte. Das war zu einer Zeit, als man die Gentrifizierung Neuköllns nicht einmal erträumt hätte. Der Rückweg führt mich durch Treptow, durch die Kiefholzstraße, vorbei an Kleingartenkolonien, die Mississippi und Kuckucksheim 1 heißen. Was hier wohl in 15 Jahren sein wird?

Auch am Freitag landen wir in Neukölln, diesmal in der Karl-Marx-Straße. Dort gibt es etwas, was mangels besserer Begriffe Food Club heißt. Es handelt sich um eine klassische Berliner Zwischennutzung: Eine Wohnung im Seitenflügel mit nackten Wänden und nackten Glühbirnen wird zum temporären, halböffentlichen Restaurant. Der Gastgeber bereitet grünen Spargel mit Sardellencreme, Tortelli mit Kürbisfüllung, Tagliata di manzo und Erdbeersorbet. Sensationell sind die Tortelli, unser Gespräch beschränkt sich für eine Weile auf das Lob der Süße des Kürbisses.

Etwa 20 Gäste sitzen an drei Tischen, ein Jagdhund und ein Terrier wuseln um die Tischbeine herum, das Rauchen ist am geöffneten Fenster erlaubt, eine junge Frau bringt die Teller und räumt sie wieder ab, am Ende stecken wir eine Spende in eine Vase. Einige Gäste sind Expats aus den USA. Vor zwei Wochen war es in der Seitenflügelwohnung sehr voll. Eine junge Frau erhob sich, tippte mit der Gabel an ihr Glas und sagte auf Englisch, mit piepsiger Stimme und in einer Freundlichkeit, die ich in Berlin noch nie erlebt habe, es sei sehr laut. Wenn alle ihre Stimme dämpften, werde es besser; man solle sich nur darauf verlassen, dass man verstanden werde, obwohl man leise spreche. Und siehe da, es wurde ruhiger, man konnte sich unterhalten, ohne zu schreien. Ein magischer Moment akustischer Abrüstung.

Offenbar liegt das Konzept des Food Clubs so im Trend, dass inzwischen auch Restaurants daran anknüpfen. Etwa das Nudo am Lausitzer Platz, das am Sonntag Einweihungsparty feierte. Mich hatten die Betreiber, der Geschäftsführer des Kochhauses, Ramin Goo, und die ehemalige Sprecherin der Grünen Jugend, Nike Wessel, zu einem Presse-Pre-Opening eingeladen. Ich weiß nicht, warum sie auf mich kamen, aber aus einer Laune heraus sagte ich zu und hatte so Gelegenheit, Gastro- und Reisejournalisten aus der Nähe zu erleben. Das Tischgespräch kreiste darum, ob sich ein Besuch im Kopenhagener Noma lohne, warum gehobene Restaurants in Deutschland oft fürchterlich steif seien und darum, wie es ist, im Brüsseler EU-Betrieb zu arbeiten.

Im Nudo soll es Abend für Abend für alle Gäste das gleiche Menü geben; die Eigenwerbung hat etwas, was mich daran erinnert, dass meine Kindheit autoritär umstellt war: „Gegessen wird, was auf den Tisch kommt.“ Ramin Goo erläutert, das Essen sei von der italienischen Küche inspiriert, es solle anspruchsvoll sein, aber ohne Chichi: „kein Flusskrebs-Espuma“. Wir bekommen trotzdem Foie Gras, Jakobsmuschel und Garnelen, aber auch eine köstliche Zucchiniblüte, die von Burrata und Tomaten begleitet und vom Koch persönlich, dem vom Goldenen Hahn abgeworbenen Pasquale Balloni, erläutert wird.

Die Tätowierungen an seinen Unterarmen sind so beeindruckend wie das Safranrisotto, das die Zucchiniblüte füllt.