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Archiv-Artikel

AUCH WENN ES NICHT SO AUSSIEHT: BUSH FOLGT DER BAKER-KOMMISSION Klammheimliche Kehrtwende

Präsident George W. Bushs Beharren, weitere Truppen in den Irak zu senden, bringt ihm wenig politische Freunde. Alles hatte in Richtung Truppenabzug gedeutet, seit die Republikaner bei den Kongresswahlen vor zwei Monaten eine vernichtende Niederlage erlebten. Nur die Administration, einige Falken im Capitol und eine Handvoll Ideologen in den US-Denkfabriken halten eine Truppenaufstockung für eine gute Idee. Hat Bush den Baker-Report einfach in die Mülltonne geworfen?

Eher nicht. Bei allem Kopfschütteln über seine Halsstarrigkeit muss man doch genau hinschauen. Bush hat, will er nicht mit dem Irak-Desaster untergehen, keine andere Wahl, als den Baker-Empfehlungen zu folgen. Doch zumindest nach außen soll das um Gottes willen nicht nach Baker, sondern irgendwie nach George W. aussehen.

Klugerweise hat die Autorengruppe erfahrener Politiker Bush großen Spielraum für solche Manöver gelassen. So schweigt sich die Kommission über die Truppenzahl und ihre zeitliche Einsatzplanung aus. Ihr Hauptanliegen lag anderswo: in der politisch-diplomatischen Offensive. Und tatsächlich fährt Außenministerin Condoleezza Rice nun, angeblich auf Anregung Angela Merkels, am Wochenende zu Gesprächen in die Region, um das Nahost-Quartett wieder zu beleben. Genau das hatte die Baker-Gruppe gefordert. Rice’ frisch ernannter Vize, John Negroponte, ist nicht zufällig ein geschulter Diplomat, der bereits in Bagdad diente. Bushs neuer Verteidigungsminister Robert Gates, ein Realist und Mitglied der Baker-Kommission, ist erstaunlich leise. Er brachte die frustrierten Generäle mit einer einzigen Irak-Reise auf Linie: Sie werden die Truppenaufstockung nun grummelnd akzeptieren – und Gates mimt den ergebenen Diener seines Präsidenten.

Auch mit den irakischen Nachbarstaaten der „Achse des Bösen“ wird gesprochen werden. Die Konferenz der Nachbarstaaten tagt ja längst schon und ist eine geeignete diplomatische Arena, damit die USA nach all dem rhetorischen Getöse keinen Canossagang hinlegen müssen, um einen Neuanfang zu suchen. Der Baker-Report fordert schließlich mit keinem Wort direkte, bilaterale Gespräche mit Syrien oder dem Iran. ADRIENNE WOLTERSDORF