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Archiv-Artikel

AUCH NEUE FÖRDERKONZEPTE KÖNNEN DEM OSTEN NICHT HELFEN Einsicht in das Unvermeidliche

Der Tonfall ist so schrill wie immer. Vor ein paar Jahren befand Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, der Osten des Landes stehe „auf der Kippe“ – jetzt beklagt Regierungsberater Klaus von Dohnanyi, die Förderpolitik seit 1990 sei falsch gewesen. Stets sind diese Erregungsschübe, die alle 6 bis 12 Monate wiederkehren, mit dem Verlangen nach völlig neuen Förderkonzepten verbunden. Die Autoren solcher Studien geben sich immer aufs Neue überzeugt: Folgte man nur ihren Vorschlägen, könnte man die Regionen zwischen Ostsee und Erzgebirge flugs zum Erblühen bringen.

In Vergessenheit geraten dabei leicht zwei triste Tatsachen. Die erste: Der Osten hat keine Chance, mit der Wirtschaftskraft des Westens gleichzuziehen – ganz egal, was die Politik auch tut. Die schnelle Angleichung von Preisen und Gehältern im Jahr 1990 war politisch alternativlos, aber ökonomisch verheerend. Sie hat jene Entwicklungschancen abgeschnitten, von denen andere Länder in Osteuropa heute profitieren. Obendrein fehlt den entvölkerten Regionen in Mecklenburg, Brandenburg und dem nördlichen Sachsen-Anhalt die kritische Masse an Menschen und Infrastruktur, die für leistungsfähige Industrien und Dienstleistungen unerlässlich ist.

Die zweite Tatsache: Weil das alles so ist, wird der Westen noch lange zahlen müssen – auch wenn man im Einzelnen darüber streiten kann, wie viel Geld dafür nötig ist und ob man es lieber für Infrastruktur, für Subventionen oder für Arbeitslosenhilfe ausgibt. Dass Deutschland seit Jahren hinter dem Wirtschaftswachstum anderer Länder in Westeuropa zurückbleibt, ist zum größten Teil auf die Last des Ostens zurückzuführen. Da hat Dohnanyi völlig Recht. Aber daran wird man nicht viel ändern können. Auch den Rückstand des italienischen Südens, der tiefen französischen Provinz oder des südspanischen Andalusien hat eine jahrzehntelange Wirtschaftsförderung nicht beseitigen können. Die Menschen haben gelernt, sich damit zu arrangieren. Manchmal besteht kluge Politik ganz einfach darin, Unabänderliches als solches hinzunehmen. RALPH BOLLMANN