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Archiv-Artikel

AUCH NACH DEM PUNKTSIEG IN BERLIN BLEIBT DIE CSU EIN SCHEINRIESE Lüftlmalerei aus Kreuth

Illusionismus ist in den bayerischen Bergen weit verbreitet. Lüftlmalerei heißt die lokale Kunstform, auf Hausfassaden farbenfrohe Motive mit verführerischer Tiefenwirkung aufzutragen. Eine solche Augentäuschung ist der CSU auf ihrer Klausurtagung in Wildbad Kreuth gelungen. Den Berliner Steuerstreit mit der CDU-Kanzlerin hat die Partei gewonnen, in Bayern soll nun eine Politik der demonstrativen Demut den Niedergang stoppen.

Der Berliner Punktsieg hat die Partei aber nur zu einem Scheinriesen gemacht. Perfekt beherrscht der neue Parteivorsitzende Horst Seehofer die destruktive Rolle, vom Spielfeldrand den Ironiker zu geben und alle Welt mit seinen Winkelzügen zu irritieren. So perfekt, dass selbst Angela Merkel offenbar bereit ist, der Angst vor Seehofer alles andere unterzuordnen. Unsicher wirkt Seehofer dagegen in der Rolle des Konstruktivisten, der als Ministerpräsident und als CSU-Parteivorsitzender ebenso nach innen zu moderieren und zu integrieren versteht. Dabei wird auch eine noch so seriöse Landespolitik nichts an der Tatsache ändern können, dass die Wähler in Bayern absolute Mehrheiten nicht mehr wünschen. Sogar eine Mehrheit der CSU-Anhänger findet inzwischen Gefallen daran, dass ein Koalitionspartner der eigenen Partei Grenzen aufzeigt. Dabei wird es auf absehbare Zeit bleiben, selbst wenn der neuen Landesregierung das fast Unmögliche gelingt, die selbst verschuldeten Probleme zu lösen. Zu lang ist die Liste der Verfehlungen, zu bunt inzwischen auch die Bevölkerungsstruktur im größten Flächenland der Republik.

Seehofer kann die Partei nicht auf alte Höhen zurückführen. Vielmehr steht er vor der historischen Aufgabe, die CSU mit dem Verlust ihrer Sonderrolle auszusöhnen. Er muss sie umbauen zu einer Volkspartei, die dauerhaft zu Wahlerfolgen über vierzig Prozent imstande ist. Gemessen an den Verhältnissen andernorts wäre das schon viel. Auf diesem Weg mag das Getöse in Berlin vorübergehend hilfreich sein. Weil es viele Christsoziale in ihrem Illusionismus bestärkt, liegt darin aber auch eine Gefahr für Seehofer selbst. RALPH BOLLMANN