AMERICAN PIE : Die Skandalnudel
SOCCER Win-win-Situation: Die Rückkehr von US-Torhüterin Hope Solo ins Nationalteam soll ihr und der Auswahl in vertrackter Lage helfen
Abby Wambach ist eine der besten Mittelstürmerinnen der Welt. Sie hat mit dem US-amerikanischen Nationalteam zweimal die olympische Goldmedaille gewonnen und in 233 Länderspielen 177 Tore geschossen. Außerdem ist sie eine der Wortführerinnen unter den Fußballerinnen, die dagegen protestieren, dass die kommende Weltmeisterschaft in Kanada auf Kunstrasen ausgespielt wird. Als Diplomatin allerdings ist die bisweilen verbissene Kämpferin Wambach, die einst in einem WM-Viertelfinale ihre Gegenspielerin mit dem Ellbogen niederstreckte, bislang nicht auffällig geworden – bis zum vergangenen Wochenende, bis zur Rückkehr von Hope Solo. „Wenn jemand zurückkommt“, ließ sich eine ungewohnt milde Wambach zitieren, „dann muss man sie mit offenen Armen empfangen.“
Die offenen Arme waren nicht selbstverständlich. Solo, unangefochten die Nummer eins im Tor der US-Frauen und ein Aushängeschild des Frauenfußballs, hatte sich alle Mühe gegeben, ihre internationale Karriere unrühmlich zu beenden. Immer neue Eskapaden gipfelten vorläufig im Januar mit einer bizarren Alkoholfahrt, nach der die 33-Jährige eine Sperre von 30 Tagen aufgebrummt bekam. Nun durfte die Torsteherin in den Kader zurückkehren.
Ins Abseits geschossen hatte sich Solo mit einem zusehends unprofessionellen Verhalten abseits des Fußballplatzes. Schon 2012 hatte die Torhüterin Schlagzeilen produziert: Am Tag vor ihrer geplanten Eheschließung mit dem ehemaligen Footballprofi Jerramy Stevens kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen den beiden Hochzeitern. Stevens landete im Gefängnis, wurde aber, weil Solo keine Anzeige erstattete, nach einer Nacht im Knast frei gelassen, um pünktlich zur Hochzeit zu erscheinen.
Es sollte nicht das letzte Mal bleiben, dass das Duo Infernale auffällig werden sollte. Vergangenen Sommer wurde Solo wegen häuslicher Gewalt verhaftet; sie soll eine Halbschwester und einen Neffen verprügelt haben. Ein Richter wies die Fußballerin daraufhin an, von Alkoholkonsum künftig Abstand zu nehmen. Eine Anweisung, der Solo offensichtlich nicht nachkam: Während eines Trainingslagers des Nationalteams im Januar wurden Solo und ihr Ehemann erwischt, als sie betrunken einen Minibus des Fußballverbands USSF kaperten, mit dem sie eine Spritztour unternahmen. Als sie angehalten wurden, soll Solo die Polizisten beschimpft haben. Stevens landete mal wieder hinter Gittern, Solo handelte sich die Sperre ein.
Nicht erst seit diesem Zwischenfall gibt es Gerüchte, dass Solo ein Alkoholproblem hat. Dass sie trotzdem so schnell wieder begnadigt wurde, hat wohl vor allem sportliche Gründe. Gute drei Monate vor dem Beginn der WM und wenige Wochen vor dem Aufgalopp, dem traditionellen Algarve-Cup ab dem 4. März, hat die Nationalmannschaft ein veritables Problem im Tor. Zuletzt gab es in Testspielen ohne Solo eine frustrierende 0:2-Niederlage gegen Frankreich und einen glücklichen 1:0-Erfolg gegen England. In beiden Spielen machte Solos Vertreterin, Ashlyn Harris, keinen allzu souveränen Eindruck. Vor allem fehlt potenziellen Nachrückerinnen die Erfahrung auf höchstem Niveau: Harris, obwohl auch schon 29 Jahre alt, hat noch nie in einem wichtigen Spiel im US-Tor gestanden. Kein Wunder: Seit 2008 hat Solo keine einzige Spielminute bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen verpasst. Es wurde versäumt, eine Alternative zu Solo aufzubauen.
Das ist ein Problem, das für den gesamten US-Kader gilt. Viele Spielerinnen wie Wambach (34), Carli Lloyd (32) und Ali Krieger (30) befinden sich längst im gesegneten Fußballerinnenalter oder sind wie Christie Rampone (39) oder Shannon Boxx (37) sogar schon darüber hinaus. Kanada dürfte wohl das letzte Hurra sein für diese Generation, die zwar zweimal Olympiagold gewonnen hat, aber nie einen Weltmeistertitel. „Wir haben zuletzt nicht gut gespielt, wir müssen die Ablenkungen vergessen und uns auf die WM konzentrieren“, sagt denn auch Kapitän Rampone. „Jetzt, mit Hope hinten drin, geht es wieder vorwärts.“
THOMAS WINKLER