piwik no script img

Archiv-Artikel

ALS BERLINER SCHADET ES EINEM NICHT, MAL IN EINER ANDEREN STADT RUMZULIEGEN. DA KANN MAN WAS LERNEN, ZUM BEISPIEL ÜBER MÜLL Urlaub in der Zivilisation muss nicht teuer sein

MARTIN REICHERT

Lebt man in der räudigen Metropole Berlin, beteiligt man sich fast zwangsläufig an Übernutzungen. So ist das Grillen mittlerweile in vielen Parkanlagen verboten, weil es sich die Stadt schlicht nicht mehr leisten kann, den ganzen zurückgelassenen Müll zu entsorgen.

Der Verbrauch von Parkanlagen und Freiflächen pro Kopf in Berlin ist derart hoch, dass nun sogar das riesige Tempelhofer Feld nicht bebaut werden darf. Stattdessen wird es früher oder später übernutzt werden – spätestens wenn die Stadt kein Geld mehr für Wachschutz hat, wird es begraben werden unter Zigarettenkippen, Kondomen, Grillkohle und halb aufgegessenen Dönern.

Hätte die Hansestadt Hamburg auch so ein Feld, könnte man dort ganz locker den Stadtteil Berlin-Kreuzberg originalgetreu rekonstruieren oder einen Containerhafen anlegen – denn der Hamburger kommt auch mit der kleinsten Parkanlage zurecht. So beobachtet in einer recht winzigen Grünanlage im Stadtteil Hamm. Nicht nur, dass dort bereits ein komplettes Zirkuszelt aufgebaut war, ein weiteres Areal war mit rot-weißen Flatterbändern abgetrennt, um dort einen ökumenischen Gottesdienst abzuhalten. Es gab eine Priesterin im schwarzen Kleidchen und einen Priester im weißen Kleidchen. Und man muss sagen: Es wurde viel gesungen.

Was nun aber weder die Hammel grillenden Damen und Herren mit oder ohne Kopftuch noch die total betrunkenen St.-Pauli-Fans störte, die sich um unser Discounterfleisch röstendes Lager gruppiert hatten. Als nun später eine karibische Großfamilie mit XXL-Grill und Soundanlage auftauchte, hätte diese Zusammensetzung wohl zu einer bürgerkriegsähnlichen Anspannung geführt, denn alle hätten sich bis zum Anschlag ausagiert. Alkoholisierte Fußballer gegen Trommelmusik und Hammel, Christen gegen Hammel und umgekehrt, alle gegen uns und der Zirkus für alle.

Hier aber, in Hamburg-Hamm, warteten die Haitianer höflich mit der Musik, bis die Christen fertig waren. Die Fußball-Hooligans fraternisierten mit der Großfamilie und uns. Und wir waren insgesamt ziemlich sprachlos ob all dieser hanseatischen Freundlichkeit – und Aufgeräumtheit.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Freitag Meike Laaff Nullen und Einsen

Montag Josef Winkler Wortklauberei

Dienstag Jacinta Nandi Die gute Ausländerin

Mittwoch Matthias Lohre Konservativ

Donnerstag Margarete Stokowski Luft und Liebe

Das eigentliche Wunder von Hamburg-Hamm: Nach Beendigung sämtlicher sozialer Aktivitäten wurde der Müll weggeräumt. Die Christen trugen ihre Sitzbänke und Monstranzen von dannen, die Alkoholiker ihre leeren Flaschen … sodass wir Berliner uns am Ende gar genötigt sahen, die Zigarettenstummel rund um unsere Decken einzusammeln und zu entsorgen.

Selbstverständlich gab es in diesem kleinen Park auch eine funktionierende öffentliche Toilette, die einem mit Rot- und Grünlicht anzeigte, ob gerade besetzt war oder nicht. Und wenn man dann abends in einem Berliner Park – sagen wir: am Weinbergspark – mal austreten muss und im Müll watet, dann kann man sich einfach nur noch darüber freuen, dass die Freifläche des Tempelhofer Feldes erhalten bleibt. Denn wo soll man als Berliner hin, wenn man ab und zu das Bedürfnis verspürt, vor sich selbst wegzulaufen?