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Archiv-Artikel

AKADEMIKER DIENEN EHER ZUR SKANDALISIERUNG ALS ANDERE ARBEITSLOSE Fallhöhen in Zeiten von Hartz

Hartz IV ist kränkend, Hartz IV ist abscheulich, Hartz IV ist empörend, ja. Mit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe rutschen auch tausende Menschen an oder unter die Armutsgrenze, von denen man es nie vermutet hätte: Akademiker, die jahrelang in einem hochqualifizierten Beruf gearbeitet haben, nun aber seit mehr als einem Jahr arbeitslos sind. Und nicht nur das. Sie sollen als Alg-II-Bezieher dann auch noch Schmuddel- und Minijobs erledigen, die ihnen mit einem Euro pro Stunde entgolten werden. In Pflegeheimen oder Kitas sabbernde Münder abwischen! Akademiker!

Es fällt auf, dass im Diskurs über die neuen Ungerechtigkeiten, die Hartz IV produzieren wird, alte Ungerechtigkeiten reproduziert werden. Zum Beispiel ist es bislang selbstverständlich, dass arbeitslose Akademiker besser behandelt werden als arbeitslose Nicht-Akademiker. Die Arbeitsämter behelligen Menschen mit abgeschlossenem Studium selten mit miesen Jobangeboten. Menschen ohne Studium müssen sich weit eher mit der Frage auseinander setzen, ob sie sich auch unterhalb ihrer Talente und Kompetenzen, womöglich am anderen Ende der Welt, einstellen lassen wollen – oder ob sie nach der Ablehnung eines Angebots Leistungskürzungen in Kauf nehmen. Bislang gilt, dass Akademiker sowieso besser für sich selbst sorgen können und den Staat eigentlich bei der Arbeitssuche gar nicht brauchen – drum lässt er sie auch in Ruhe.

Mit Hartz IV soll das, wie es aussieht, anders werden. Und das ist erstens ein Skandal, weil dadurch noch mehr Menschen noch mehr Selbstbestimmung genommen wird. Zweitens aber ist es geheuchelt, bloß den Verlust bürgerlicher Privilegien innerhalb des arbeitslosen Bevölkerungsanteils zu skandalisieren.

Nun ist die Aufmerksamkeit für Akademiker und andere, die sich immer noch relativ gut stehen, auch ein Produkt medialer Erzähltechniken. Um zu erklären, was Hartz IV bedeutet, werden Beispiele ausgewählt, die den Vorher-Nachher-Unterschied besonders krass darstellen: Die Fallhöhe bestimmt das Interesse. Doch daran wird auch deutlich, dass die schlechte Lage der anderen offenbar nicht so bemerkenswert ist – und auch nicht, ob sie sich nun ändert wird. Wenn Hartz IV kommt, bleibt es abzuwarten, wie viele Straßen- oder Dächerflicker, Parkkehrer und Kita-Hilfskräfte wirklich gebraucht werden. Aber wetten, dass es im Zweifel die mit Hochschulabschluss sind, die nicht mitmachen müssen? Die ihr Erspartes woanders parken? Denen es gelingt, ihre weiträumige Wohnung zu retten? Ist das fair? ULRIKE WINKELMANN