AFGHANISTANEINSATZ IM BUNDESTAG – EINE SELBSTVERSTÄNDNISDEBATTE : London und der Hindukusch
Seit der nassforschen Erklärung des Verteidigungsministers Struck (SPD), Deutschlands Sicherheit werde auch am Hindukusch verteidigt, steht ein politischer Selbstverständigungsprozess über die Rolle der deutschen Soldaten in Afghanistan auf der Tagesordnung. Ein Datum hierfür wäre die Sondersitzung des Bundestages, die sich, den Bestimmungen über Auslandseinsätze folgend, mit dem Antrag der Bundesregierung auf Aufstockung des deutschen Militärkontingents in Kabul, Kundus und weiteren Regionen befassen muss. Unausweichlich werden sich die Abgeordneten auch mit den Stimmen in der Öffentlichkeit auseinander zu setzen haben, die nach dem Londoner Attentat von einer erhöhten „Gefährdungslage“ sowohl für die deutschen Soldaten in Afghanistan als auch für die deutsche Bevölkerung ausgehen.
Strucks Erklärung war deshalb so brandgefährlich, weil er ein Selbstverteidigungsrecht Deutschlands in Anspruch nahm, das in seiner räumlichen wie zeitlichen Ausdehnung und Unbestimmtheit sowohl dem Grundgesetz als auch der UNO-Charta glatt zuwider läuft. Wenn der Verteidigungsminister jetzt die Operationen des deutschen Kontingentes tendenziell auf ganz Afghanistan ausdehnen will, so muss Klarheit geschaffen werden, ob dies im Rahmen der Struck-Doktrin geschehen soll. Im Bejahungsfall wäre eine Zustimmung des Bundestags durch kein internationales Mandat gedeckt. Und sie wäre politisch vollkommen unverantwortlich
Gegenwärtig wird über Afghanistan ein internationales Quasi-Protektorat ausgeübt. Nach den negativen Erfahrungen in Bosnien-Herzegowina wie im Kosovo kann ein solches Protektorat nur gerechtfertigt werden, wenn die Hoheitsbefugnisse schrittweise und in einem festgelegten Zeitrahmen auf den nationalen Souverän rückübertragen werden, und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern ganz real.
Jede andere Lösung – und mag sie noch so hehren Prämissen humanitärer Hilfe und der Unterstützung beim Wiederaufbau des Staates folgen – entkleidet die Protektoren ihrer Rechtfertigung. Dann macht sie die Besatzungsstreitkräfte zum Alleinverantwortlichen für alle Probleme. Sie demobilisiert die einheimischen demokratischen Kräfte. Und sie leitet Wasser auf die Mühlen derer, die im Zeichen eines theokratisch begründeten antikolonialen Kampfes für terroristische Aktionen auch in den Heimatländern der Besatzer eintreten.
Insofern geht es bei der anstehenden Debatte nicht um die Beruhigung angeblich unbegründeter, diffuser Ängste, sondern um die berechtigte Forderung nach Klarheit über die Prinzipien des Afghanistan-Einsatzes. CHRISTIAN SEMLER