ADRIENNE WOLTERSDORF über OVERSEAS : Flieg dich glücklich
Seit die Sicherheitslage den Markt regelt, blühen die Geschäftsideen. Der neuste Renner: Trockenkosmetik
Fliegen in den USA ist sehr unterhaltsam geworden. Seitdem in London irgendwelche Leute beim Basteln erwischt wurden, enthüllt sich in den Flughäfen des US-Imperiums die Kosmetikwelt vor aller Augen. Beim Sicherheitscheck werden Lip-Gloss-Tuben und Handcremes inspiziert, Rasiercremes probeweise ausgedrückt und Fußpilzpasten auf ihre Notwendigkeit in der Kabine geprüft. Anschließend verpacken die Sicherheitsbeamten alles in durchsichtigen Tütchen.
Vielflieger sammeln daher neuerdings nicht nur Meilen, sondern auch jene waschlappengroßen Klippverschlussbeutel, in die alles verstaut werden muss, was liquide ist. Da im Kapitalismus nicht der echte Bedarf den Markt regelt, sondern die Sicherheitslage, gibt es schon seit Wochen die dem „Krieg gegen den Terror“ anempfundene US-Kosmetiklinie. Sogenannte Dry-Cosmetik, also Trockenkosmetik, im schnittigen Luftverkehr-Design: pulverisierte Zahnpasta, Trockendeodorant und feuchtigkeitsspendende Cremetücher. Dazu die entführungssichere Flauschdecke samt aufblasbarer Nackenrolle.
Natürlich hat man als US-Reisende für solch politisch-notwendiges Accessoire seine Quellen. Die ultimative steckt in jedem US-Flugzeug in der Magazintasche des Vordersitzes und heißt schlicht „Sky Mall“ – was so viel wie Himmelsshoppingzentrum bedeutet. Die darin angebotenen Produkte haben vor allem eines gemeinsam, nämlich dass sie den amerikanischen Just-do-it-Geist vollendet verkörpern. Mit schlichter Prosa, aber umso mehr Sinn für menschliche Unzulänglichkeiten bietet der Luft-Katalog zum Beispiel den Machen-Sie-Ihr-Armband-alleine-zu-Stab (8,25 Dollar), oder die Weihnachtskerzenkette-Reparatur-Pistole (24,99 Dollar). Die erstaunliche Palette reicht vom Dackel-Treppen-Tor im Landhausstil über eine tragbare Feuerleiter (in den USA weiß man ja nie) für dreistöckige Geschosse zugelassen, nur 89,99 Dollar, bis hin zum telefonzellengroßen Heim-Popkorn-Automaten in Leierkasten-Optik für faire 1.595 Dollar. Das Angebot aufzuzählen, würde für mindestens drei Kolumnen reichen – wäre dann aber jeweils veraltet, da sich das Warenangebot ständig aktualisiert. Man will ja schließlich keine digitale Katzentränke von gestern.
Beim Blättern macht man sich aber so seine Gedanken. Dabei meine ich nicht die Wie-konnte ich-eigentlich-bislang-glücklich-sein-ohne-die-im-Autoaschenbecher-beheizbare-Kaffeetasse? Nein. Sondern solche wie „Und wenn die Gesundheitsreform in Deutschland weiterhin so vielversprechend ist, brauchen wir dann nicht auch bald Sky Mall und die ‚smarten Produkte für die Gesundheit des unteren Körpers‘?“ Wenn die Krankenkassen nicht mehr zahlen, sind wir vielleicht froh, wenn wir uns den Plantar-Fasciitis-Streck-Stiefel gegen die Fußschmerzen nachts im Bett kaufen können (fleischfarben), den unsere Brüder und Schwestern in den USA offensichtlich heute schon dankbar aus China beziehen? Oder das Do-it-yourself-Gipsabdruck-Heimset für die orthopädischen Schuheinlagen, die dann kleine Kinder in Indien für uns Kassenlose anfertigen werden? Oder wenn uns eines Tages vielleicht sogar der Strom nachts abgestellt wird, weil Gerhard Schröder es mit Putin vermasselt und Iran uns nicht mit Energie versorgen will – brauchen wir dann nicht auch die selbstleuchtenden Pantoffeln, die uns im Dunkeln heimleuchten werden?
Bleiben wir mal beim amerikanischen Lieblingszenario, nämlich dass unsere Kommunikationsnetzte nach einem Terroranschlag oder einem Hurrikan zusammenbrechen. Dann sollte man vorher bei Sky Mall für 49,50 Dollar ein Radio bestellt haben, das sich mit eingebautem Generator per Handkurbel aufladen lässt. Der Katalog meint dazu: „Nur weil sie stromlos sind, müssen sie noch lange nicht glücklos sein. Kaufen sie das Hand Crank Radio für die All-in-one-Notfälle!“ Da hat das amerikanische Sky-Mall-Autorenteam nun mal recht. Nur weil draußen al-Qaida und die Klimakatastrophe wüten, muss man wirklich nicht ohne Komfort weiterleben.
Fotohinweis: ADRIENNE WOLTERSDORF OVERSEAS Fragen zu Sky Mall? kolumne@taz.de Morgen: Bettina Gaus über FERNSEHEN