ADRETTE BARKEEPER, TOURISTEN IM MONARCH UND FDP-ARGUMENTE : Die Romantik von Würgeengeln
VON RENÉ HAMANN
Die Frage hatte sich eigentlich längst erledigt. Die Geschichte hatte sie erledigt, irgendwie. Ich meine, die Frage, ob es so etwas wie ein politisches Ausgehen gibt. Ob Ausgehen und Rumstehen an sich politisch ist, und ob es eine politische Frage ist, in welche Bars man geht und in welche nicht. Es ist vielleicht keine politische Frage mehr, eine soziologische ist es immer.
Wir waren mal wieder in den Würgeengel gegangen. Der Würgeengel ist eine professionell betriebene, in jedem Sinne gute Bar. Die Barkeeper sind adrett und verstehen ihr Handwerk, sie machen Dinge, die erstaunlich und bewundernswert wirken können, zum Beispiel die Herstellung eines guten Cocktails. Die Musik ist gut; sie wagt nicht viel, traut sich aber Stil zu. Die Qualität der Oliven lässt zu wünschen übrig. Das Beck’s aus der Flasche kostet 3 Euro.
Was hat der Würgeengel aber mit dem Film von Buñuel zu tun, fragten wir uns. Liegt der Laden unter einem Bann? Kommt man am Ende deshalb immer wieder hierher? Oder weil man sich etwas Schick und Glam verpassen möchte im ansonsten eher latent abbruchreifen SO 36? Oder weil man altersbedingt nicht mehr zu den jungen Leuten zählt, die in die Luzia gehen, oder zu den Touristen im Monarch, oder weil man glaubt, sozial so weit aufgestiegen zu sein, dass einer und einem der Würgeengel eher entspricht? Die Romantik, die in der Frage des Klassenkampfs steckt, die Romantik auch dessen, was man gemeinhin Salonsozialismus nennt, schien allerdings fehl am Platze zu sein hier.
Der Traum nach einem fast turnhallengroßen Loft für eine Person allein erscheint mir allerdings immer noch dekadent und bourgeois, ja, tut mir leid. Konflikte und Orte, Ausgehen und Rumstehen. Die Dekadenz kontert mit dem Vorwurf des Sozialneids, der ja nicht von der Hand zu weisen, aber auch ein FDP-Argument ist. Ein Argument der herrschenden Klasse, um es mal wieder so zu sagen.
Aber lassen wir das, nehmen wir Abschied davon und ziehen weiter, zur nächsten Station. Die liegt praktischerweise gleich nebenan und nennt sich Trödler. Der Trödler profitiert vom Audience Flow, macht aber auch andere Angebote und hat einen nicht so konsequenten Service, was daran liegt, dass hier einer alles machen musste. Die Musik, die Bedienung, das Aufräumen. Wir saßen draußen und behandelten das nächste große Thema, nämlich das mit Männern und Frauen. Also ging es um Prostitution und Lüge, Pornografie und Zeitaufwand und um das gegenseitige Hadern mit althergebrachten, unreflektierten Rollenmustern, mit denen sich beide Seiten mittlerweile wieder auseinandersetzen müssen, als ob Emanzipation nie geschehen wäre. Es ist ein Kreuz. Vorteil des Ganzen: Neue Formen der Integration deuten sich an.
Es herrschen Angst und Verwirrung, könnte man zusammenfassend sagen, nicht nur bei den Geschlechtern, den Datenschutzbefürwortern und den FreundInnen der Transparenz, sondern auch bei Veranstaltern, die nicht sehen, dass ein Hangar kein Tunnel ist. Auf Vorsicht zu schalten muss aber auch nicht per se ein Fehler sein. Also, vielleicht war auch alles gut. Wir waren ja auch gar nicht da bei den jungen Leuten, die in Tempelhof Musik hören und sehen wollten, um daraus soziales Kapital zu schlagen. Ach, wie dem auch sei. Ich rauchte jedenfalls noch eine Zigarette und verschob alle weiteren Unterhandlungen auf den nächsten Tag und gönnte mir dann zu Hause den Luxus, zwei Millionärinnen beim Tennisspielen zuzusehen, wie zwanzigtausend Privilegierte vor Ort und mehrere Millionen an den Fernsehschirmen. Einfach ist die Welt wirklich nicht. Kim Clijsters aber siegte souverän in zwei Sätzen.